7. Summen über die Möbius-Funktion
Die Moebius-Funktion nimmt nur die Werte 0, 1 und −1 an und wir dürfen vermuten, dass die von Null verschiedenen Werte im Mittel gleich häufig sind. Folglich erwarten wir, dass die Summen der μ-Werte klein ist. Die folgenden Diagramme unterstützen diese Vermutungen.
Die Summenfunktion ∑n ≤ x μ(n) bis x = 1000
Die Mittelwerte bis x = 500
Abschätzungen für die μ-Funktion zu beweisen ist im Allgemeinen eine nichttriviale Angelegenheit. Vergleichsweise einfach erhalten wir:
Satz (Wachstum der μ-alternierenden harmonischen Reihe)
Für alle x ≥ 1 gilt
| ∑n ≤ x μ(n)/n | ≤ 1 + 1/x.
Beweis
Sei x ≥ 1. Nach der 1-Darstellung von μ gilt
∑n ≤ x μ(n) ⌊ x/n ⌋ = 1.
Für alle n ≤ x gilt ⌊x/n⌋ = x/n − frac(x/n) mit frac(x/n) ∈ [ 0, 1 [. Damit erhalten wir
x ∑n ≤ x μ(n)/n = ∑n ≤ x μ(n) x/n = 1 + ∑n ≤ x μ(n) frac(x/n).
Die Summanden der rechten Summe sind im Betrag kleinergleich 1, sodass
x | ∑n ≤ x μ(n)/n | ≤ 1 + ∑n ≤ x μ(n) 1 = 1 + x.
Dies zeigt die Behauptung.
Die Namensgebung ist durch die alternierende Reihe ∑n ≥ 1 (−1)n/n motiviert: Wir setzen das Vorzeichen (−1)n durch μ(n).
Das folgende Diagramm zeigt, dass unsere Abschätzung nicht besonders gut ist:
Die Summe ∑n ≤ x μ(n)/n (blau) und die Funktionen ±(1 + 1/x)
Möbius-Funktion und Zeta-Funktion
Unser Argument reicht nicht aus, um zu zeigen, dass der Wert der μ-alternierende Reihe gleich Null ist. Dagegen können wir den Grenzwert berechnen, wenn wir durch n2 anstelle von n teilen, d. h. die Summe
∑n ≥ 1 μ(n)/n2
betrachten. Hierzu verwenden wir die Zeta-Funktion ζ : ] 1, ∞ [ → ℝ,
ζ(s) = ∑n ≥ 1 1/ns für alle s ≥ 1,
die wir im Abschnitt über die harmonische Reihe bereits eingeführt hatten. Weiter brauchen wir die Formel von Euler für den Wert ζ(2):
∑n ≥ 1 1/n2 = π2/6(Euler-Formel über die Summe der reziproken Quadrate)
Bei der Untersuchung der Zeta-Funktion spielt die μ-Funktion eine wichtige Rolle. Mit Hilfe der nun schon vertrauten Argumentation zeigen wir:
Satz (reziproke Zeta-Funktion)
Es gilt
1ζ(s) = ∑n ≥ 1 μ(n)ns für alle s ≥ 1.
Insbesondere gilt ∑n ≥ 1 μ(n)/n2 = 6/π2.
Beweis
Sei s ≥ 1. Dann gilt:
ζ(s) (∑n ≥ 1 μ(n)/ns) | = (∑m ≥ 1 1/ms) (∑n ≥ 1 μ(n)/ns) |
= ∑m, n ≥ 1 μ(n)(mn)s | |
= ∑n ≥ 1 ∑d|n μ(d)ns | |
= ∑n ≥ 1 1ns ∑d|n μ(d) = 11s = 1. |
Dies zeigt die Behauptung. Der Zusatz entspricht dem Spezialfall s = 2.
Genauer gilt die folgende Abschätzung:
Satz (μ-alternierende Reihe der reziproken Quadrate)
Für alle x ≥ 1 gilt
| ∑n ≤ x μ(n)/n2 − 6/π2| ≤ ∑n > x 1/n2.
Beweis
Sei x ≥ 1. Dann gilt
| ∑n ≤ x μ(n)/n2 − 6/π2| | = | ∑n ≤ x μ(n)/n2 − 1/ζ(2)| |
= | ∑n ≤ x μ(n)/n2 − ∑n ≥ 1 μ(n)/n2| | |
= | ∑n > x μ(n)/n2| < ∑n > x 1/n2 |
Die Summe ∑n ≤ x μ(n)/n2 − 6/π2 (blau) und die Funktionen ± 1/x
Der Term ∑n > x 1/n2 lässt sich nach oben durch 1/x abschätzen, sodass die Konvergenz sehr schnell ist. Das obige Diagramm gibt einen Eindruck.
Die Größe 1/ζ(2) = 6/π2 taucht auch auf, wenn wir die μ-Funktion in ihren Positiv- und Negativteil zerlegen und entsprechende Summen betrachten:
Die drei Summenfunktionen
∑n ≤ x, μ(n) = 1 1 (gelb), ∑n ≤ x, μ(n) = −1 1 (grün), ∑n ≤ x, μ(n)2 = 1 1 (blau)
sowie die Geraden 6x/π2 und 3x/π2 (beide rot)
Die natürlichen Zahlen n mit μ(n)2 = 1 sind die quadratfreien Zahlen, also die 1 und alle Zahlen, deren Primfaktorzerlegung nur 1-Exponenten aufweist. Nach dem Diagramm sollte die Dichte der quadratfreien Zahlen gleich
6/π2 = 0,6079…
sein, sodass also etwa 60% aller natürlichen Zahlen quadratfrei sind. Dies lässt sich in der Tat beweisen. Wir verweisen den Leser hierzu auf die Literatur.