Andere irrationale Zahlen

 Wir verlassen die Antike und springen an den Anfang des 19. Jahrhunderts zu einem allgemeinen Satz von Gauß, der die Ergebnisse von Theodoros und Theaitetos verallgemeinert: Lösungen von algebraischen Gleichungen sind ganzzahlig oder irrational. Gauß bewies diesen Satz in allgemeinerer Form in seinen „Disquisitiones Arithmeticae“ von 1801, § 42 ([ Gauß 1986 ]).

Satz (Satz von Gauß über die Irrationalität von Lösungen algebraischer Gleichungen)

Sei x  ∈   −  eine Lösung einer Gleichung

(+)  xk  +  ak − 1 xk − 1  +  …  +  a0  =  0,  mit ai  ∈   für 0 ≤ i < k.

Dann ist x irrational.

Beweis

Annahme, x = n/m für n  ∈  , m  ∈  +. O. E. sind n und m relativ prim.

Wegen x  ∉   ist n ≠ 0 und m > 1. Es gilt dann :

nk  +  ak − 1 nk − 1 m1  +  …  +  a0 mk  =  0,

und folglich nk  =  − m (ak − 1 nk − 1  +  …  +  a0 mk − 1).

Also ist jeder Primteiler von m > 1 ein Teiler von nk, und damit auch von n, Widerspruch.

 Bereits 1737 bewies Euler die Irrationalität der heute nach ihm benannten Zahl e = k  ∈   1/k! = 1 + 1 + 1/2 + 1/6 + 1/24 + … Das Argument benutzt diesmal nicht die Primfaktorzerlegung, sondern eine Majorisierung durch eine geometrische Reihe: Bekanntlich gilt k ≥ 0 qk = 1/(1 − q) für alle reellen Zahlen q mit |q| < 1. Der Beweis kann damit in wenigen Zeilen geführt werden:

Satz (Irrationalität der Eulerschen Zahl)

e ist irrational.

Beweis

Annahme, e = n/m für n, m  ∈  +. Sei

r  =  m!(e − 0 ≤ k ≤ m 1/k!).

Nach Annahme ist dann r  ∈  , insbesondere also r ≥ 1, da r > 0. Aber

r  =  k > m m!/k!  <  k ≥ 1 1/(m + 1)k  =  1/(1 − 1/(m + 1))  −  1  =  1/m  ≤  1,

Widerspruch!

 Eine Variation dieser Beweisidee, die die reelle Analysis zu Hilfe nimmt, zeigt die Irrationalität von π. Das Argument besticht eher durch seine Kürze als durch seine Transparenz. Ob „Trickkiste der Analysis“ oder vielmehr „Reichtum des analytischen Dschungels“ − wir überlassen die Entscheidung hierüber dem Leser.

Satz (Irrationalität der Kreiszahl π)

π ist irrational.

Beweis

Es genügt zu zeigen, dass π2 irrational ist.

Annahme, π2 = p/q mit p, q  ∈  . Wir setzen für n  ∈   und x  ∈  :

fn(x)  =  xn (1 − x)n/n!,

Fn(x)  =  qn0 ≤ i ≤ n (− 1)i π2n − 2i f(2i)n(x).

Es ist leicht zu sehen, dass f(i)n(0) und f(i)n(1) natürliche Zahlen sind für alle 0 ≤ i ≤ 2n. Damit sind dann auch Fn(0) und Fn(1) natürliche Zahlen.

Weiter gilt:

(+)  10π pn sin(πx) fn(x) dx  =  Fn(0) + Fn(1)   ∈  .

Beweis von (+)

Die Ableitung von Fn′(x) sin(πx) − π Fn(x) cos(πx) berechnet sich zu

(Fn″(x) + π2 Fn(x)) sin(πx)  =  qn π2n + 2 fn(x) sin(πx)  =  π2 pn sin(πx) fn(x).

Weiter gilt:

[ Fn′(x) sin(πx) − π Fn(x) cos(πx) ]10 =  π (Fn(0) + Fn(1)).

Dies zeigt (+).

Aber es gilt wegen 0 ≤ sin(πx) ≤ 1 und fn(x) < 1/n! für alle x  ∈  [ 0, 1 ], dass

0  <  10π pn sin(πx) fn(x) dx  <  π pn/n!.

Letzterer Wert ist für genügend große n kleiner als 1, also ist der Wert des Integrals keine natürliche Zahl, im Widerspruch zu (+).

 Der erste Beweis der Irrationalität von π gelang Johann Lambert in den 60er-Jahren des 18. Jahrhunderts. Den obigen vereinfachten Beweis gab Ivan Niven 1947.

Übung

Seien a, b  ∈  , a, b ≥ 2, und es gebe eine Primzahl p, durch die genau eine der beiden Zahlen a und b teilbar ist.

Dann ist log ab irrational.

 Wir wollen nun noch die irrationalen Zahlen durch eine Approximationseigenschaft charakterisieren. Die für sich interessanten Ergebnisse werden wir zudem bei der Untersuchung transzendenter Zahlen verwenden können.