Eine algebraische Charakterisierung

 Wir haben uns bislang auf ordnungstheoretische Aspekte konzentriert. Wünschenswert ist sicher auch eine Charakterisierung der reellen Zahlen, die die übliche Arithmetik miteinbezieht. Grundlage hierzu ist der Begriff des angeordneten Körpers.

Definition (angeordneter Körper, positive und negative Elemente, K+, |x|)

Eine Struktur 〈 K, + , ·, < 〉, wobei + : K2  K, · : K2  K, < ⊆ K2, heißt ein angeordneter Körper, falls gilt:

(i)

〈 K, +, · 〉 ist ein Körper.

(ii)

〈 K, < 〉 ist eine lineare Ordnung.

(iii)

Für alle x, y  ∈  K gilt:  x < y  gdw  0 < y − x,  0 < x, y  folgt  0 < x · y. (arithmetisches Ordnungsaxiom)

Ist x  ∈  K mit x > 0, so heißt x positiv. Gilt x < 0, so heißt x negativ.

Wir setzen K+ = { x  ∈  K | x > 0 }. Für x  ∈  K ist der Betrag |x| von x definiert als x, falls x ≥ 0, und als − x, falls x < 0.

 Das arithmetische Ordnungsaxiom ist die Brücke zwischen Ordnung und Arithmetik. Sie verbindet die beiden Aspekte, so wie das Distributivgesetz Addition und Multiplikation in einem Körper in Verbindung bringt.

 Wichtige elementare Folgerungen aus den Axiomen sammeln wir in der folgenden Übung.

Übung

Sei 〈 K, +, ·, < 〉 ein angeordneter Körper. Dann gilt für alle x, y, z  ∈  K:

(i)x < y folgt  x + z < y + z,
(ii)0 < x, y folgt  0 < x + y,
(iii)x, y < 0 folgt  x y > 0,
(iv)x ≠ 0 folgt  x2 > 0,  insbesondere also 1 > 0,

(v)

x < 0 < y oder y < 0 < x  folgt  x y < 0,

(vi)

|x + y| ≤ |x| + |y|,  |x y| = |x| |y|,

(vii)

0 < x < y  folgt  0 < y−1 < x−1,

(viii)

〈 K, < 〉 ist dicht.

(ix)

〈 K, +, · 〉 hat Charakteristik 0, d. h. es gilt nK ≠ 0 für alle n  ∈  +, wobei nK das n-fache Vielfache 1 + … + 1 der 1 in K ist.

 Die Strukturen 〈 , +, ·, < 〉 und 〈 , +, ·, < 〉 sind angeordnete Körper; die komplexen Zahlen sind dagegen ein Beispiel eines Körpers, der durch keine <-Relation angeordnet werden kann: Denn für die imaginäre Einheit i gilt i2 = − 1 < 0, was in angeordneten Körpern nicht sein kann. Ebenso lassen sich die Restklassenkörper 〈 p, +, · 〉 für p prim, die durch das Rechnen in  modulo p entstehen, nicht anordnen, da in ihnen pK = 0 gilt.

 Da ein angeordneter Körper 〈 K, +, ·, < 〉 die Charakteristik 0 hat, können wir o. E. annehmen, dass  ⊆ K ist: Wir identifizieren für p  ∈  , q  ∈  + das Element pK/qK von K mit p/q  ∈  , wobei (− n)K = − nK für n  ∈  . 〈 , +, · 〉 erscheint so als der kleinste Unterkörper eines jeden angeordneten Körpers 〈 K, +, ·, < 〉.

 Die Menge K+ der positiven Elemente eines angeordneten Körpers ist abgeschlossen unter Addition und Produktbildung, und K+ zerlegt den Körper K in die drei disjunkten Teile K+, { 0 }, −K+ = { − x | x  ∈  K+ }. Eine derartige Menge genügt bereits, um aus einem Körper einen angeordneten Körper zu machen. Denn sei 〈 K, +, · 〉 ein Körper, und sei M ⊆ K. M heißt eine Menge positiver Elemente, falls gilt:

(a)

K ist die disjunkte Vereinigung von M, { 0 }, − M = { − x | x   ∈  M }.

(b)

M ist abgeschlossen unter Addition und Multiplikation, d. h. für alle x, y  ∈  M sind x + y und x · y wieder Elemente von M.

Wir setzen dann für beliebige x, y  ∈  K:

x  <  y  falls  ein z  ∈  M existiert mit x + z = y.

Es ist leicht zu sehen, dass 〈 K, +, ·, < 〉 ein angeordneter Körper mit K+ = M ist. Wir nennen dann < auch die von M induzierte Ordnung auf 〈 K, +, · 〉.

Vollständigkeitsbegriffe für angeordnete Körper

 Eine einzige zusätzliche Bedingung, die wir an einen angeordneten Körper stellen können, bringt uns, wie wir sehen werden, zu den reellen Zahlen. Wir definieren:

Definition (Körper der reellen Zahlen)

Ein angeordneter Körper 〈 K, + , ·, < 〉 heißt ein Körper der reellen Zahlen, falls gilt:

(V)  〈 K, < 〉 ist vollständig. ((lineares) Vollständigkeitsaxiom) 

 Äquivalent kann man statt (V) auch fordern (vgl. die Übung oben): „〈 K, < 〉 hat keine Lücken.“ Letztere Aussage wird zuweilen auch als Dedekindsches Schnittaxiom bezeichnet.

 Neben der linearen Vollständigkeit ist auch ein zweiter Vollständigkeitsbegriff von Interesse, der dann − stehen die reellen Zahlen einmal zur Verfügung − allgemein für metrische Räume verwendet wird.

 Sei hierzu 〈 K, +, ·, < 〉 ein angeordneter Körper. Eine Folge 〈 xn | n  ∈   〉 in K heißt eine Cauchy-Folge oder Fundamentalfolge in K, falls für alle ε  ∈  K+ ein n0  ∈   existiert mit: |xn − xm| < ε für alle n, m ≥ n0. Eine Cauchy-Folge 〈 xn | n  ∈   〉 konvergiert, falls ein x  ∈  K existiert mit: Für alle ε  ∈  K+ existiert n0  ∈  , sodass für alle n ≥ n0 gilt, dass |xn − x| < ε. In diesem Fall heißt dann x ein Grenzwert der Folge 〈 xn | n  ∈   〉. Im Falle der Existenz ist ein Grenzwert offenbar eindeutig bestimmt, und man schreibt dann lim ∞ xn für diesen Grenzwert.

 Der angesprochene zweite Vollständigkeitsbegriff für angeordnete Körper 〈 K, +, ·, < 〉 ist nun:

Definition (metrische Vollständigkeit)

Ein angeordneter Körper 〈 K, +, ·, < 〉 heißt metrisch vollständig, falls gilt:

(V)  Jede Cauchy-Folge konvergiert. (metrisches Vollständigkeitsaxiom) 

 Es erhebt sich die Frage, ob die beiden Vollständigkeitsbegriffe äquivalent sind. Versucht man dies zu beweisen, tauchen in der Richtung von (V) nach (V) Probleme auf, die sich in der folgenden klassischen Aussage kondensieren:

Definition (archimedisches Axiom)

Ein angeordneter Körper 〈 K, +, ·, < 〉 heißt archimedisch angeordnet, falls gilt:

(A)  Für alle x, y  ∈  K mit 0 < x < y existiert ein n  ∈   mit nx ≥ y. (archimedisches Axiom)

 Anders formuliert: Für alle x > 0 ist { nx | n  ∈   } nach oben unbeschränkt.

 Das archimedische Axiom schließt die Existenz von infinitesimalen Größen aus: Jedes noch so kleine positive x kann durch Vervielfachung beliebig groß gemacht werden. Ist das n-fache Vielfache nx = x + … + x von x größer als 1, so ist x größer als 1/n und damit x nicht unendlich klein.

 Für den Euklidischen Algorithmus für reelle Messgrößen ist das archimedische Axiom offenbar von großer Bedeutung (betrachte x als erste Maßeinheit und messe y mit x).

 Das archimedische Axiom ist jeweils äquivalent zu den Aussagen:

(A1) Für alle y > 0 gibt es ein n  ∈   mit n  >  y (d. h.  ist nicht beschränkt).
(A1)′Für alle y > 0 gibt es ein n  ∈   mit 1/n  <  y (d. h. 0 = inf ({ 1/n | n  ∈  + })).
(A2) Es gibt ein z > 0 mit { nz | n  ∈   } nicht beschränkt.

[ zu (A2 (A): Seien x, y > 0. Dann ist auch (z/x) y > 0.

Nach (A2) existiert ein n  ∈   mit nz > (z/x) y. Dann ist aber nx > y. ]

 Der Zusammenhang der beiden Vollständigkeitsbegriffe ist nun:

Satz (Satz über lineare und metrische Vollständigkeit)

Sei 〈 K, +, ·, < 〉 ein angeordneter Körper.

Dann sind äquivalent:

(i)

〈 K, < 〉 ist vollständig.

(ii)

〈 K, +, ·, < 〉 erfüllt das archimedische Axiom und das metrische Vollständigkeitsaxiom.

Insbesondere ist also ein angeordneter Körper 〈 K, +, ·, < 〉 genau dann ein Körper der reellen Zahlen, wenn (V) und (A) gelten.

Beweis

zu (i)  (ii):

Wir zeigen zunächst das archimedische Axiom.

Sei also x > 0, und sei

X  =  { nx | n  ∈   }.

Wir zeigen, dass X nach oben unbeschränkt ist.

Annahme, X ist nach oben beschränkt. Sei dann x* = sup(X).

Dann existiert ein n  ∈   derart, dass nx > x* − x, denn andernfalls wäre x* − x eine obere Schranke für X, die kleiner als x* ist.

Dann ist aber x* < (n + 1)x, im Widerspruch zu x* obere Schranke von X.

Wir zeigen weiter die metrische Vollständigkeit.

Sei also 〈 xn | n  ∈   〉 eine Cauchy-Folge in K.

Dann ist { xn | n  ∈   } beschränkt. Für k  ∈   sei

yk  =  sup({ xn | n  ≥  k }).

Dann gilt y0 ≥ y1 ≥ … ≥ yk ≥ … und { yk | k  ∈   } ist beschränkt.

Wir setzen x* = inf ({ yk | k  ∈   }).

Dann gilt lim ∞ xn = x* (!).

zu (ii)  (i):

Sei X ⊆ K nichtleer und nach oben beschränkt.

Sei x0  ∈  X beliebig. Für n  ∈   sei

kn  =  „das kleinste k  ∈   mit:

x0 + k · 1/(n + 1) ist eine obere Schranke von X“.

kn existiert nach dem archimedischen Axiom für alle n  ∈  .

Nach Konstruktion ist 〈 x0 + kn1/(n + 1) | n  ∈   〉 eine Cauchy-Folge.

Nach dem metrischen Vollständigkeitsaxiom existiert

x*  =  lim ∞ (x0 + kn/(n + 1)).

Dann gilt x* = sup(X) (!).

Übung

Sei 〈 K, +, ·, < 〉 ein angeordneter Körper.

Dann sind die folgenden Aussagen äquivalent:

(i)

〈 K, < 〉 ist vollständig.

(ii)

Jede monoton wachsende nach oben beschränkte Folge 〈 xn | n  ∈   〉 konvergiert.

[ zu (ii)  (i):  Aus (ii) folgt zunächst das archimedische Axiom: Andernfalls wäre die monoton wachsende Folge 〈  n1 | n  ∈   〉 beschränkt und also konvergent gegen ein x  ∈  K, was nicht sein kann (betrachte x − 1).

Die Bedingung (ii) impliziert weiter, dass auch jede monoton fallende nach unten beschränkte Folge konvergiert. Dann folgt aber die metrische Vollständigkeit, denn jede Cauchy-Folge ist beschränkt und besitzt eine monoton wachsende oder fallende Teilfolge. ]

 Die Frage, ob die beiden Vollständigkeitsaxiome selbst schon gleichwertig sind, bleibt immer noch offen. Vielleicht lässt sich ja die Verwendung des archimedischen Axioms in (ii)  (i) im Beweis oben vermeiden, und das archimedische Axiom folgt doch schon aus dem metrischen Vollständigkeitsaxiom. Dies ist nicht der Fall, aber Gegenbeispiele lassen sich nicht allzu einfach angeben. Denn jeder nicht archimedisch angeordnete Körper hat eine komplizierte Struktur: Er enthält infinitesimale Größen, d. h. es gibt positive x mit x < 1/n für alle n. Damit ist 1/x > n für alle n  ∈  , und K enthält also auch unendlich große positive Elemente.

 Die Existenz eines nicht archimedisch angeordneten Körpers 〈 K, +, ·, < 〉 lässt sich etwa mit den modelltheoretischen Techniken der mathematischen Logik zeigen. Sie folgt dort aus dem sog. Kompaktheitssatz und weiter liefert die sog. Ultraproduktbildung derartige Körper. Relativ bekannt geworden ist die Non-Standard-Analysis, die Abraham Robinson in den 1960er-Jahren entwickelt hat. Sie arbeitet mit einem durch Ultraproduktbildung gewonnenen nichtarchimedischen Erweiterungskörper * von , und die in der üblichen Analysis berühmt-berüchtigten Differentiale df/dx etwa sind dort richtige Objekte, mit denen man wie schon Leibniz rechnen kann und, im strengsten Sinne, auch darf.

 Eine relativ einfache algebraische Konstruktion eines nicht archimedisch angeordneten Körpers ist: Sei 〈 K, +, ·, < 〉 ein angeordneter Körper, und sei 〈 K(x), +, · 〉 der Quotientenkörper des Polynomrings 〈 K[ x ], +, · 〉. Sei M die Menge aller Elemente P(x)/Q(x) von K(x) mit der Eigenschaft: Die führenden Koeffizienten von P(x) und Q(x) sind entweder beide größer Null oder beide kleiner Null in K. Dann ist M ⊆ K(x) eine Menge positiver Elemente. Sei < die von M induzierte Ordnung auf K(x). Dann ist 〈 K(x), +, ·, < 〉 ein nichtarchimedisch angeordneter Körper. Der Nachweis sei dem Leser mit algebraischen Grundkenntnissen als Übung überlassen.

 Mit der Methode von Cantor, die wir unten vorstellen werden, lässt sich jeder angeordnete Körper 〈 K, +, ·, < 〉 kanonisch zu einem metrisch vollständigen angeordneten Körper 〈 K′, +, ·, < 〉 erweitern. Die Gültigkeit oder Ungültigkeit des archimedischen Axioms bleibt dabei erhalten, und damit folgt aus der Existenz eines nicht archimedisch angeordneten Körpers auch die Existenz eines metrisch vollständigen nicht archimedisch angeordneten Körpers.

 Wir haben das archimedische Axiom oben ad hoc eingeführt, um die Diskussion der beiden Vollständigkeitsbegriffe nicht zu lange zu verzögern. Das Axiom ist für sich genommen natürlich genug. Aber es ergibt sich auch aus folgender Frage, die wir gleich nach der ersten Übung zu angeordneten Körpern hätten stellen können:  erwies sich ohne Einschränkung als ein Unterkörper eines jeden angeordneten Körpers 〈 K, +, ·, < 〉. Ein alter Hase der Ordnungstheorie frägt hier sofort: Ist  dicht in K? Hier gilt nun:

Satz

Sei 〈 K, +, ·, < 〉 ein angeordneter Körper. Dann sind äquivalent:

(i)

Es gilt das archimedische Axiom.

(ii)

ist dicht in K.

Beweis

zu (i)  (ii):

Es genügt offenbar zu zeigen, dass + dicht in K+ ist.

Seien also x, y  ∈  K mit 0 < x < y. Dann ist y − x > 0.

Nach (A1)′ existiert ein m  ∈   mit 1/m < (y − x).

Sei n  ∈   minimal mit x < n/m. Ein solches n existiert nach (A).

Wegen Minimalität von n ist (n − 1)/m ≤ x.

Also n/m ≤ x + 1/m < y, letzteres wegen y − x > 1/m.

Insgesamt also x < n/m < y mit n/m  ∈  .

zu (ii)  (i):

Sei y  ∈  K, y > 0. Nach Voraussetzung existiert ein n/m  ∈   mit y < n/m < y + 1. Dann ist aber n  ∈   und es gilt n > y.

Der Einzigkeitssatz für Körper der reellen Zahlen

 Wir wollen nun zeigen, dass bis auf Isomorphie nur ein Körper der reellen Zahlen existiert.

Definition (isomorphe angeordnete Körper)

Ein Isomorphismus zwischen zwei angeordneten Körpern 〈 R, +, ·, < 〉 und 〈 P, +, ·, < 〉 ist eine Bijektion f : R  P derart, dass für alle x, y  ∈  R gilt:

(I1)x  <  y  gdw  f (x)  <  f (y),
(I2)f(x  +  y) =  f (x)  +  f (y),
(I3)f(x · y) =  f (x) · f (y).

〈 R, +, ·, < 〉 und 〈 P, +, ·, < 〉 heißen isomorph, falls ein Isomorphismus f : R  P zwischen 〈 R, +, ·, < 〉 und 〈 P, +, ·, < 〉 existiert.

 Streng genommen müssten wir wieder 〈 R, +R, ·R, <R 〉 und 〈 P, +P, ·P, <P 〉 schreiben. Die Zeile (I2) heißt dann zum Beispiel genau: f(x +R y) = f (x) +P f (y).

 Es gilt nun:

Satz (Isomorphiesatz für die reellen Zahlen)

Je zwei Körper der reellen Zahlen sind isomorph.

Beweis

Seien 〈 R, +, ·, < 〉 und 〈 P, +, ·, < 〉 Körper der reellen Zahlen.

Wir nehmen wieder  ⊆ R und  ⊆ P an. In jedem Körper der reellen Zahlen gilt das archimedische Axiom, und nach dem Satz oben gilt also:

(+)   ist sowohl dicht in R als auch dicht in P.

Für x  ∈  R sei f (x)  =  „das Supremum von { q  ∈   | q < x } in P“.

Der Beweis des Charakterisierungssatzes der Ordnung von  zeigt, dass f : R  P ein Ordnungsisomorphismus von R auf P ist, mit f| = id.

Also ist f bijektiv und es gilt (I1). Offenbar gelten (I2) und (I3) für x, y  ∈  .

Aber es gilt für alle x, y  ∈  R (!):

x  +  y =  sup({ p + q | p, q  ∈  ,  p  <  x,  q  <  y }),
x  ·  y =  sup({ p · q | p, q  ∈  ,  p  <  x,  q  <  y }).

Hieraus und aus f (x) = supP({ q  ∈   | q < x }) für alle x folgt, dass (I2) und (I3) für alle x, y  ∈  R gelten.

 Aus den Isomorphiebedingungen folgt umgekehrt leicht, dass ein Isomorphismus f zwischen zwei Körpern der reellen Zahlen auf  die Identität sein muss. Dann ist aber f eindeutig bestimmt, und wir erhalten:

Korollar (Automorphiesatz für die reellen Zahlen)

Die Identität ist der einzige Isomorphismus von einem Körper der reellen Zahlen auf sich selbst.

 Der Beweis des Isomorphiesatzes zeigt de facto die folgende Universalitätseigenschaft eines Körpers der reellen Zahlen bzw. konkret von 〈 , +, ·, < 〉 (vgl. auch das Korollar zum Charakterisierungssatz der reellen Ordnung 〈 , < 〉):

Korollar (Charakterisierung der archimedisch angeordneten Körper)

Sei 〈 K, +, ·, < 〉 ein archimedisch angeordneter Körper.

Dann ist 〈 K, +, ·, < 〉 isomorph zu einem Unterkörper von 〈 , +, ·, < 〉.

Weiter gilt: Die Identität ist der einzige Isomorphismus eines archimedisch angeordneten Körpers auf sich selbst.

 Der Automorphiesatz gilt damit auch für jeden archimedisch angeordneten Körper 〈 K, +, ·, < 〉. Ist f : K  K ein Isomorphismus, so ist f = idK.

 Aus heutiger Sicht ist die algebraische Charakterisierung der reellen Zahlen eine natürliche Zusammenführung der mit Cantor beginnenden Untersuchung der Ordnungseigenschaften von  mit dem Dedekindschen Körperbegriff. Hilbert gab 1900 eine algebraische Charakterisierung explizit an. Statt der heute üblichen direkten Formulierung der Vollständigkeit finden wir die Maximalität von  als archimedisch angeordnetem Körper.

Hilbert (1900):

„In der Theorie des [ reellen ] Zahlbegriffs gestaltet sich die axiomatische Methode wie folgt: Wir denken ein System von Dingen; wir nennen diese Dinge Zahlen und bezeichnen sie mit a, b, c … Wir denken diese Zahlen in gewissen gegenseitigen Beziehungen, deren genaue und vollständige Beschreibung durch die folgenden Axiome geschieht:

I. Axiome der Verknüpfung.

I 1. Aus der Zahl a und der Zahl b entsteht durch ‚Addition‘ eine bestimmte Zahl c, in Zeichen a + b = c oder c = a + b.

I 2. Wenn a und b gegebene Zahlen sind, so existiert stets eine und nur eine Zahl x und auch eine und nur eine Zahl y, sodass a + x = b bzw. y + a = b wird.

I 3. Es gibt eine bestimmte Zahl − sie heiße 0 −, sodass für jedes a zugleich a + 0 = a und 0 + a = a ist.

I 4. Aus der Zahl a und der Zahl b entsteht noch auf eine andere Art, durch ‚Multiplikation‘, eine bestimmte Zahl c, in Zeichen ab = c oder c = ab.

I 5. Wenn a und b beliebig gegebene Zahlen sind und a nicht 0 ist, so existiert stets eine und nur eine Zahl x und auch eine und nur eine Zahl y, sodass ax = b bzw. ya = b wird.

I 6. Es gibt eine bestimmte Zahl − sie heiße 1 −, sodass für jedes a zugleich a · 1 = a und 1 · a = a ist.

II. Axiome der Rechnung.

Wenn a, b, c beliebige Zahlen sind, so gelten stets die folgenden Formeln: a + (b + c) = (a + b) + c, a + b = b + a, a (b c) = (a b) c, a(b + c) = ab + ac, (a + b)c = ac + bc, ab = ba.

III. Axiome der Anordnung.

III 1. Wenn a, b irgend zwei verschiedene Zahlen sind, so ist stets eine bestimmte von ihnen (etwa a), größer (>) als die andere; die letztere heißt dann die kleinere, in Zeichen: a > b und b < a. Für keine Zahl gilt a > a.

III 2. Wenn a > b und b > c, so ist auch a > c.

III 3. Wenn a > b ist, so ist auch stets a + c > b + c und c + a > c + b.

III 4. Wenn a > b und c > 0 ist, so ist auch stets ac > bc und ca > cb.

IV. Axiome der Stetigkeit.

IV 1. (Archimedisches Axiom). Wenn a > 0 und b > 0 zwei beliebige Zahlen sind, so ist es stets möglich, a zu sich selbst so oft zu addieren, dass die entstehende Summe die Eigenschaft hat a + a + … + a > b.

IV 2. (Axiom der Vollständigkeit). Es ist nicht möglich, dem Systeme der Zahlen ein anderes System von Dingen hinzuzufügen, sodass auch in dem durch Zusammensetzung entstehenden Systeme bei Erhaltung der Beziehungen zwischen den Zahlen die Axiome I, II, III, IV sämtlich erfüllt sind; oder kurz: die Zahlen bilden ein System von Dingen, welches bei Aufrechterhaltung sämtlicher Beziehungen und sämtlicher aufgeführten Axiome keiner Erweiterung mehr fähig ist.“

Übung (Isomorphiesatz für stetige Größenbereiche)

〈 G, +, < 〉 heißt ein stetiger Größenbereich, falls gilt:

(i)

〈 G, + 〉 ist ein abelsches Monoid, d. h. + ist assoziativ und kommutativ auf G, und es gibt ein 0  ∈  G mit: x + 0 = x für alle x  ∈  G,

(ii)

〈 G, < 〉 ist eine vollständige dichte lineare Ordnung,

(iii)

für alle x, y  ∈  G gilt: x < y gdw es gibt ein z ≠ 0 mit x + z = y,

(iv)

G ≠ { 0 }.

Ein Isomorphismus zwischen zwei stetigen Größenbereichen 〈 G, +, < 〉 und 〈 G′, +, < 〉 ist eine Bijektion f : G  G′ mit (I1) und (I2).

Zeigen Sie: Seien 〈 G, +, < 〉 und 〈 G′, +, < 〉 stetige Größenbereiche, und seien g  ∈  G − { 0 }, g′  ∈  G′ − { 0 }. Dann gibt es genau einen Isomorphismus f : G  G′ mit f (g) = g′. Insbesondere ist 〈 G, +, < 〉 isomorph zu 〈 +0, +, < 〉.

[ Wie üblich sei 0x = 0, (n + 1)x = nx + x für alle x  ∈  G und n  ∈  . Für alle x  ∈  G und n ≥ 1 gibt es genau ein y mit ny = x (!). Dieses y wird mit x/n bezeichnet. Dann ist { px/q | p, q  ∈  , q ≥ 1 } dicht in 〈 G, < 〉. Wir setzen f (pg/q) = pg′/q für p ≥ 0, q ≥ 1. Die Fortsetzung von f nach G via Suprema ist ein Isomorphismus. ]