b-adische und andere Entwicklungen
Wir beweisen einen allgemeinen Entwicklungs- oder Darstellungssatz für die Elemente eines Körpers der reellen Zahlen. Die bekannten b-adischen Darstellungen für b ≥ 2 ergeben sich als Spezialfall.
Die Idee der Entwicklung einer reellen Zahl ist, sich von der griechischen Wechselwegnahme des Euklidischen Algorithmus, die zur Kettenbruchentwicklung führte, zu verabschieden, und stattdessen weniger feinsinnig, aber durchaus pragmatisch iteriert den Maßstab zu verkleinern: Die Dezimalbruchentwicklung etwa misst eine positive Größe x zuerst mit Maßstab 1, und dann nicht die 1 mit dem verbleibenden Rest, sondern den verbleibenden Rest mit neuem Maßstab 1/10, den zweiten verbleibenden Rest dann mit neuem Maßstab 1/100 usw.
Die Maßstabsverkleinerung muss nicht unbedingt nach einem einfachen Muster oder konstanten Faktor vor sich gehen. Allgemein definieren wir:
Definition (Unterteilungen und Ziffernfolgen)
Eine Unterteilung ist eine Folge 〈 bn | n ≥ 1 〉 von natürlichen Zahlen mit bn ≥ 2 für alle n ≥ 1.
Eine Ziffernfolge bzgl. 〈 bn | n ≥ 1 〉 ist eine Folge 〈 sn | n ≥ 1 〉 von natürlichen Zahlen mit 0 ≤ sn < bn für alle n ≥ 1.
Im Folgenden sei 〈 ℝ, +, ·, < 〉 ein Körper der reellen Zahlen, und 〈 bn | n ∈ ℕ 〉 eine fest gewählte Unterteilung. Eine Ziffernfolge ist dann immer eine Ziffernfolge bzgl. dieser festen Unterteilung. Wir definieren:
a0 = 1, sowie an + 1 = an · bn + 1 für n ≥ 1.
Es gilt also an = Π1 ≤ i ≤ n bi für n ≥ 1. Die Folge 〈 an | n ∈ ℕ 〉 ist streng monoton wachsend.
Definition (m,s1s2s3… und Darstellungen von x)
Für m ∈ ℕ und eine Ziffernfolge 〈 sn | n ∈ ℕ 〉 setzen wir,
m, s1 s2 s3 … = m + sup { ∑1 ≤ i ≤ n si/ai | n ≥ 1 }.
Gilt x = m, s1 s2 s3 …, so nennen wir das Paar (m, 〈 sn | n ≥ 1 〉) auch eine (Nachkomma-)Darstellung von x (für die Unterteilung 〈 bn | n ≥ 1 〉).
Ist bn = b für alle n ≥ 1, so nennen wir die Darstellung auch eine b-adische Darstellung.
2-adische Darstellungen heißen wie üblich auch dyadische Darstellungen, 10-adische Darstellungen auch Dezimaldarstellungen.
Wir zeigen noch, dass das fragliche Supremum existiert. De facto gilt sogar 0, s1 s2 s3 … ≤ 1, denn für alle n ≥ 1 haben wir wegen bi/ai = 1/ai − 1 für alle i ≥ 1 die Abschätzung
∑1 ≤ i ≤ n si/ai ≤ ∑1 ≤ i ≤ n (bi − 1)/ai = ∑1 ≤ i ≤ n (1/ai − 1 − 1/ai) = 1 − 1/an < 1.
Hinsichtlich der Existenz von Darstellungen für gegebene x ∈ ℝ+ setzen wir
Mi = { n/ai | n ∈ ℕ } für alle i ≥ 0, und M* = ⋃i ≥ 0 Mi.
Es gilt dann M0 = ℕ ⊂ M1 ⊂ M2 ⊂ …
Jede Menge Mi zerlegt nun K+ ∪ { 0 } gleichmäßig in die halb offenen Intervalle [ n/ai, (n + 1)/ai [ (genannt Typ 1-Intervalle) und K+ in die halb offenen Intervalle ] n/ai, (n + 1)/ai ] (Typ 2-Intervalle). Beim Übergang von Mi zu Mi + 1 werden die bestehenden Intervalle in jeweils bi + 1 gleiche Teile zerlegt. Jedes positive x liegt dann für ein gegebenes i ∈ ℕ in genau einem Intervall vom Typ 1 oder 2, und wir nennen für beide Typen jeweils die linke Intervallgrenze die i-Approximation von x vom Typ 1 oder 2. (Wir nehmen für beide Typen die linke Grenze, damit die Approximation immer kleinergleich x ist, und wir eine schwach monoton wachsende Approximationsfolge erhalten.) Genau an den Intervallgrenzen ungleich 0, also für die Punkte aus M* − { 0 }, weichen die Approximationsfolgen der beiden Typen voneinander ab. Der folgende Beweis führt die Typ 1-Approximation im Detail durch.
Satz (Existenz von Darstellungen)
Jedes x ∈ ℝ, x ≥ 0, besitzt eine Darstellung (bzgl. 〈 bn | n ≥ 1 〉).
Beweis
Sei also x ∈ ℝ, x ≥ 0, für den Rest fixiert.
Für i ∈ ℕ existiert nach dem archimedischen Axiom
xi = „das eindeutige n/ai ∈ Mi mit n/ai ≤ x < (n + 1)/ai“.
Dann ist 〈 xi | i ∈ ℕ 〉 schwach monoton wachsend und x = sup({ xi | i ∈ ℕ }).
Weiter existiert für k ≥ 1 nach Definition von xi :
si = „das eindeutige 0 ≤ s < bi, s ∈ ℕ, mit xi + s/ai + 1 ≤ x < xi + (s + 1)/ai + 1“.
Für alle i ≥ 0 gilt dann xi + 1 = xi + si + 1/ai + 1, also xi = x0 + ∑1 ≤ k ≤ i sk/ai.
Also ist x = sup({ xi | i ∈ ℕ }) = x0, s1 s2 s3 …
Die im Beweis oben gefundene Darstellung terminiert nach Konstruktion genau dann mit 0, falls x ∈ M*. Wir können aber für x ≠ 0 auch Typ 2-Intervalle betrachten und definieren:
xi = „das eindeutige n/ai ∈ Mi mit n/ai < x ≤ (n + 1)/ai“,
si = „das eindeutige 0 ≤ s < bi, s ∈ ℕ, mit xi + s/ai + 1 < x ≤ xi + (s + 1)/ai + 1“.
Das Argument liefert dann wieder x = sup({ xi | i ∈ ℕ }) = x0, s1 s2 s3 … Die Folge 〈 xi | i ∈ ℕ 〉 ist nun sogar streng monoton wachsend. Genau für die Elemente von M* − { 0 } gilt dann si = bi − 1 für alle i größergleich einem i0.
Übung
Außer den gefundenen Nachkommadarstellungen existieren keine weiteren Nachkommadarstellungen für x ≥ 0.
Wir halten als Ergebnis fest:
Satz (Darstellungssatz)
Ein x ∈ ℝ+ hat genau dann eine eindeutige Darstellung, wenn x ∉ M*.
Die von Null verschiedenen Elemente von M* haben eine in Null und eine in bi − 1 terminierende Darstellung.
Insbesondere hat jede irrationale Zahl eine eindeutige Darstellung, und eine als gekürzter Bruch dargestellte rationale Zahl p/q > 0 hat genau dann zwei verschiedene Darstellungen, wenn es ein n ≥ 1 gibt, sodass q ein Teiler von an = b1 · … · bn ist.
Beweis
Für gekürzte p/q > 0 gilt: p/q ∈ M* gdw es gibt n, m ≥ 1 mit p/q = m/an gdw es gibt m, n ≥ 1 mit p an = m q gdw es gibt ein n ≥ 1 mit q Teiler von an.
Der Rest folgt aus der obigen Diskussion.
Damit haben wir für den b-adischen Spezialfall konstanter Unterteilungen die vertraute Nachkommadarstellung von reellen Zahlen aus den Axiomen eines Körpers der reellen Zahlen abgeleitet. Im allgemeinen Fall ist speziell die Wahl bn = n für n ≥ 1 von Interesse. Hier ist an = n!, und unsere Analyse liefert z. B. für jede irrationale Zahl x > 0 eine eindeutige Darstellung x = m, s1 s2 s3…, d. h.
x = m + s1/1! + s2/2! + … + sn/n! + …
Speziell ist e = 1, 1 1 1 … für die Eulersche Zahl e bei dieser Unterteilung.
Allgemeiner kann man für eine Darstellung reeller Zahlen statt von 〈 bn | n ≥ 1 〉 gleich von abzählbaren Mengen M0 ⊂ M1 ⊂ M2 ⊂ … ausgehen, die mit wachsendem i immer feinere Zerlegungen von ℝ+ liefern. Die Intervalle der Zerlegung muss man dann nicht mehr konstant wählen. So sind etwa iterierte Zerlegungen von Intervallen nach dem Schema 0, 1/2, 3/4, 1 oder sogar nach dem Schema 0, 1 − 1/2, 1 − 1/3, …, 1 − 1/n, …, 1 denkbar.