Isometrien in zwei Dimensionen

 Grundlage für die Klassifikation der Isometrien der Ebene ist nun der folgende Satz über die Gruppe O2.

Satz (über O2)

(a)

Ist A  ∈  SO2, so ist fA eine Rotation um den Nullpunkt.

(b)

Ist A  ∈  O2 − SO2, so ist fA eine Spiegelung an einer Geraden durch 0.

Beweis

Sei A =acbd. In den Spalten von A stehen die Bilder von (1, 0), (0, 1).

Es gilt a2 + b2 = 1. Schreibe also a = cos(φ), b = sin(φ).

Da (c, d) senkrecht auf (a, b) steht und c2 + d2 = 1, gilt:

A =cos(φ)sin(φ)sin(φ)cos(φ)  oder  A =cos(φ)sin(φ)sin(φ)cos(φ).

Im ersten Fall ist det(A) = 1 und A eine Rotation (gegen den Uhrzeigersinn) um den Winkel φ.

Im zweiten Fall ist det(A) = − 1 und A die Komposition der Spiegelung an der x-Achse und dieser Rotation um φ, denn

acbd =  acbd1001.

Diese Komposition können wir einfacher darstellen. Denn seien x = (cos(φ/2), sin(φ/2)), y = (− sin(φ/2), cos(φ/2)). Dann gilt Ax = x und A y = −y, wie man leicht nachrechnet oder sich geometrisch klarmacht.

Also ist A die Spiegelung an der Geraden durch 0 und x.

 Wir geben noch einen zweiten Beweis des Satzes.

zweiter Beweis

Sei f = fA. Ist f|S1 = id|S1, so ist wegen Linearität offenbar f = id.

Andernfalls existiert ein x mit f (x) ≠ x. Sei α = w(x, f (x))  ∈  ] 0, π [, und sei y  ∈  S1 derart, dass w(x, y) = α/2.

1. Fall:  f (y)  ≠  y.

Es genügt zu zeigen, dass f|S1 die Rotation auf S1 um den Winkel α ist, im durch „x nach f (x)“ eindeutig gegebenen Drehsinn.

Sei S ⊆ S1 das durch x und f (x) gegebene Kreissegment der Länge α, einschließlich der Grenzen x und f (x). Wegen f (y) ≠ y und w(x, y) = w(f (x), f (y)) = α/2 ist f (y) die Rotation von y um α.

Wieder wegen Winkeltreue von f folgt hieraus allgemeiner, dass f ″S ∩ S = { f (x) } und dass f|S die Rotation um α ist.

Das gleiche Argument (zusammen mit der Injektivität von f) zeigt, dass f|f ″S die Rotation um α ist, und nach endlicher Iteration folgt die Behauptung.

2. Fall:  f (y)  =  y.

Sei G die Gerade durch 0 und y. Dann ist f|G die Identität auf G.

Für a  ∈  G sei Ha die zu G senkrechte Gerade mit Ha ∩ G = { a }.

Wegen der Winkeltreue von f ist f ″Ha ⊆ Ha für alle a  ∈  G, und f ist abstandstreu auf Ha. Wir können also f|Ha als eine Isometrie auf  auffassen, indem wir Ha mit  (und a mit 0) identifizieren.

Aus dem Satz über O1 folgt wegen f (a) = a, dass f|Ha die Identität auf Ha oder die Spiegelung von Ha am Punkt a sein muss. Diese Fallunterscheidung ist aber wegen der Linearität von f und f|G = id|G unabhängig von a  ∈  G. Wegen f (x) ≠ x ist der Identitätsfall aber ausgeschlossen. Insgesamt ist dann also f die Spiegelung im 2 an der Geraden G (und det(f) = − 1).

 Der Rückgriff auf Resultate einer kleineren Dimension wie im Beweis von (b) ist generell eine nützliche Methode zur Analyse der Isometriegruppen.

 Auch für die Dimension n = 2 sind schon Eigenwerte und Eigenvektoren nützlich. Sei nämlich A  ∈  O2, und seien λ1 und λ2 die komplexen Eigenwerte von A. Ist λ1 echt komplex, so ist λ2 die komplexe Konjugation von λ1 (!) und damit λ1 λ2  ∈  +. Für den Fall det(A) = − 1 = λ1 λ2 ist also notwendig λ1 = 1 und λ2 = − 1, woraus unmittelbar abzulesen ist, dass fA eine Spiegelung ist.

 Mit dem Multiplikationssatz für die Determinante erhalten wir:

Korollar

(i)

Seien f und g Spiegelungen im 2 an Geraden durch den Nullpunkt.

Dann ist f ∘ g eine Rotation um den Nullpunkt.

(ii)

Sei f eine Spiegelung im 2 an einer Geraden durch den Nullpunkt, und sei g eine Rotation im 2 um den Nullpunkt.

Dann sind f ∘ g und g ∘ f Spiegelungen an Geraden durch 0.

 Für beliebige Isometrien der Ebene ergibt sich nun das folgende Resultat:

Satz (Charakterisierung der Isometrien im 2)

Sei f : 2  2 eine Isometrie. Dann gilt:

(a)

Ist f positiv und hat f keine Fixpunkte, so ist f eine Translation.

(b)

Ist f positiv und hat f Fixpunkte, so ist f eine Rotation um einen Punkt im 2, d. h. es gibt ein a  ∈  2 und ein A  ∈  SO2 mit f = tra ∘ fA ∘ tr− a. Zudem ist fA der lineare Anteil von f.

(c)

Ist f negativ, so ist f eine Gleitspiegelung, d. h. eine Spiegelung an einer Geraden gefolgt von einer Translation um einen zur Spiegelgeraden parallelen Vektor.

 Eine bemerkenswerte Eigenschaft der Klassifikation (a) − (c) ist, dass z. B. der Fall „Rotation gefolgt von Translation“ nicht auftaucht. Auch hier gilt ein Kollaps von Kompositionen.

Beweis

Sei f  =  trz ∘ fA mit z  ∈  2, A  ∈  O2.

zu (a):

Es gelte also A  ∈  SO2 und f (x) ≠ x für alle x  ∈  2.

Dann ist Ax + z ≠ x für alle x  ∈  2, d. h. es gilt:

(+)  − z   ∉   rng(fA − E),  wobei E  ∈  Mat2 die Einheitsmatrix ist.

Nach (+) ist die lineare Abbildung fA − E nicht surjektiv, also nicht injektiv.

Seien also x, y  ∈  2 mit:

x ≠ y  und  fA(x) − x  =  fA(y) − y.

Dann ist fA(x − y) = x − y, also ist x − y ≠ 0 ein Fixpunkt von fA. Wegen A  ∈  SO2 ist dies nur möglich, wenn A = E gilt. Denn die Abbildung fA ist eine Rotation um 0 und hat nur im degenerierten Fall A = E Fixpunkte ungleich 0.

Also ist f = trz ∘ fA = trz ∘ fE = trz eine Translation.

zu (b):

Es gelte A  ∈  SO2 und f (a) = a für ein a  ∈  2. Dann gilt:

a  =  f (a)  =  (trz ∘ fA)(a)  =  Aa  +  z,

also ist z = a − Aa. Dann ist aber:

tra ∘ fA ∘ tr− a  =  tra ∘ tr− Aa ∘ fA  =  tra − Aa ∘ fA  =  trz ∘ fA  =  f.

zu (c):

Es gelte also det(A) = − 1. Nach dem Satz über O2 ist dann fA eine Spiegelung an einer Geraden G durch den Nullpunkt.

Sei z = z0 + z1 mit z0  ∈  G und z1 senkrecht auf G.

Dann ist trz1 ∘ fA offenbar die Spiegelung an der Geraden G′, wobei G′ die um den Vektor z1/2 verschobene Gerade G ist (vgl. den Beweis von (b) im Charakterisierungssatz der Isometrien in ). Weiter ist z0 parallel zu G′, und damit ist f = trz0 ∘ trz1/2 ∘ fA ∘ trz1/2 wie gewünscht.

 Auch in der Ebene lassen sich Isometrien wieder ausschließlich als Kompositionen von Spiegelungen darstellen. Hier gilt:

Übung

(i)

Jede Isometrie im 2, die den Nullpunkt festhält, ist die Komposition von höchstens zwei Spiegelungen an Geraden durch den Nullpunkt.

(ii)

Jede Isometrie im 2 ist die Komposition von höchstens drei Spiegelungen an Geraden im 2.