Isometrien in drei Dimensionen
Entscheidend für die Analyse der Gruppe ℐ3 ist der folgende Satz:
Satz (Achsensatz für O3)
Ist A ∈ SO3, so ist 1 ein Eigenwert von A.
Ist A ∈ O3 − SO3, so ist −1 ein Eigenwert von A.
Beweis
Sei A ∈ SO3, und seien λ1, λ2, λ3 die (komplexen) Eigenwerte von A.
Dann gilt λ1 · λ2 · λ3 = det(A) = 1.
Sind alle Eigenwerte reell, so ist wegen |λi| = 1 und λ1 · λ2 · λ3 = 1 offenbar mindestens ein Eigenwert gleich 1.
Ist λ ein echt komplexer Eigenwert von A, so ist auch die komplexe Konjugation μ von λ ein Eigenwert und es gilt λμ = 1. Dann ist aber wegen λ1 · λ2 · λ3 = 1 der dritte Eigenwert reell und gleich 1.
Ein analoges Argument zeigt die Behauptung über Matrizen in O3 − SO3.
Wir geben noch einen zweiten Beweis dieser Aussage, der mit elementaren Eigenschaften der Determinantenfunktion auskommt (und für alle ungeraden Dimensionen funktioniert):
zweiter Beweis
Sei A ∈ SO3. Dann gilt A−1 = At.
Damit haben wir für die Einheitsmatrix E:
det(A − E) | = | det(A(E − A−1)) = det(A) det(E − At) = |
det(A) det(E − A)t = det(A) det(E − A) = | ||
det(A) det((−E)(A − E)) = det(A) det(−E) det(A − E). |
Wegen det(A) = 1 und det(− E) = (− 1)3 = −1 folgt hieraus, dass det(A − E) = 0, d. h. 1 ist Eigenwert von A.
Ist A ∈ O3 − SO3, so ist − A ∈ SO3. Also ist 1 Eigenwert von − A, und somit −1 Eigenwert von A.
Die gleiche Rechnung zeigt, dass 1 ein Eigenwert jeder Matrix A ∈ O2 − SO2 ist. (Für ein A ∈ SO2 ist dagegen auch −A ∈ SO2.)
Damit haben wir gezeigt: Ist f ∈ ℐ3, so existiert ein Punkt x auf der Kugeloberfläche mit f (x) = x oder f (x) = −x. Diese Aussage ist alles andere als trivial.
Für einen analytischen Beweis der Existenz eines x mit f (x) = x oder f (x) = −x und einen insgesamt etwas elementareren Beweis des Klassifikationssatzes der O3 sei auf die Darstellung in [ Knörrer 1996 ] verwiesen.
Damit können wir nun die Gruppe O3 leicht charakterisieren:
Satz (über O3)
(a) | Ist A ∈ SO3, so ist fA eine Rotation um eine Achse durch den Nullpunkt. |
(b) | Ist A ∈ O3 − SO3, so ist fA eine Rotationsspiegelung, d. h. eine Spiegelung an einer Ebene durch den Nullpunkt gefolgt von einer Rotation um die Achse durch den Nullpunkt, die senkrecht zur Spiegelebene steht. |
Beweis
zu (a):
Sei A ∈ SO3. Sei x ∈ ℝ3, x ≠ 0, mit fA(x) = x.
Sei G die Gerade durch x und den Nullpunkt, und sei a ∈ G.
Weiter sei Ea die senkrecht zu G liegende Ebene mit Ea ∩ G = { a }.
Dann ist fA″Ea ⊆ Ea wegen der Winkeltreue von fA, und fA|Ea kann mit einem Element von SO2 identifiziert werden.
Also ist fA|Ea eine Rotation in Ea um den Punkt a.
Die Rotationswinkel sind wegen der Linearität von f für alle diese Ebenen Ea, a ∈ G, gleich. Hieraus folgt die Behauptung.
zu (b):
Sei A ∈ O3 − SO3. Sei x ∈ ℝ, x ≠ 0, mit fA(x) = − x.
Sei G die Gerade durch 0 und x, und sei fB die Spiegelung an der zu G senkrechten Ebene E durch 0. Dann ist det(B) = − 1, also ist fA ∘ fB = fC für ein C ∈ SO3. Nach (a) ist fC eine Rotation um eine Achse durch 0. Diese Achse ist aber G, denn x ist ein Eigenvektor von A · B.
Dann ist wegen B2 = E aber fA = fC ∘ fB, und dies zeigt (b).
Übung
Statt (b) können wir gleichwertig auch wählen:
(b′) | Ist A ∈ O3 − SO3, so ist fA eine Rotationspunktspiegelung, d. h. die Spiegelung des Raumes am Nullpunkt gefolgt von einer Rotation. |
Als Korollar zu (a) erhalten wir insbesondere die gar nicht selbstverständliche Kollabierungsaussage: Endlich viele hintereinander ausgeführte Rotationen im ℝ3 um eine Achse durch den Nullpunkt können als eine einzige solche Rotation dargestellt werden.
Mit dieser Analyse der Gruppe O3 im Hintergrund und dem Charakterisierungssatz für die Dimension 2 können wir nun zeigen, dass sich auch die Isometrien der dritten Dimension noch recht übersichtlich katalogisieren lassen:
Satz (Charakterisierung der Isometrien im ℝ3)
Sei f : ℝ3 → ℝ3 eine Isometrie. Dann gilt:
(a) | Ist f positiv, so ist f eine Translationsrotation, d. h. f ist eine Rotation um eine Achse gefolgt von einer Translation um einen zur Rotationsachse parallelen Vektor. |
(b) | Ist f negativ und hat f keine Fixpunkte, so ist f eine Gleitspiegelung, d. h. eine Spiegelung an einer Ebene gefolgt von einer Translation um einen zur Spiegelebene parallelen Vektor. |
(c) | Ist f negativ und hat f Fixpunkte, so ist f eine Rotationsspiegelung, d. h. eine Spiegelung an einer Ebene gefolgt von einer Rotation um eine Achse, die senkrecht zur Spiegelebene steht. |
Beweis
Sei f = trz ∘ fA mit z ∈ ℝ3 und A ∈ O3.
zu (a):
Es gelte also det(A) = 1.
Nach dem Satz über SO3 ist fA eine Rotation um eine Achse G durch 0.
Sei z = z0 + z1 mit z0 ∈ G und z1 senkrecht zu G.
Für a ∈ G sei Ea die Ebene senkrecht zu G mit Ea ∩ G = { a }.
Da z1 senkrecht zu G steht, ist (trz1 ∘ fA)″ Ea ⊆ Ea für alle a ∈ G. Aus dem Satz über Isometrien im ℝ2 folgt, dass trz1 ∘ fA|Ea eine Rotation in Ea um einen Punkt r(a) ∈ Ea ist für alle a ∈ G. Offenbar bilden dann die Punkte r(a), a ∈ G, eine zu G parallele Gerade G′, und trz1 ∘ fA ist eine Rotation um G′.
Damit ist f = trz0 ∘ trz1 ∘ fA eine Rotation um G′ gefolgt von einer zu G′ parallelen Translation trz0.
zu (b) und (c):
Es gelte also det(A) = − 1.
Nach dem Satz über O3 ist fA eine Rotationsspiegelung durch den Nullpunkt. Sei E die Ebene der Spiegelung, spE die zugehörige Abbildung, und sei fB die sich anschließende Rotation um die Gerade G durch 0, die senkrecht auf E steht.
Sei wieder z = z0 + z1 mit z0 ∈ G und z1 ∈ E.
Dann gilt trz0 ∘ fB = fB ∘ trz0, da z0 auf der Drehachse G von fB liegt.
Damit ist
f = trz1 ∘ trz0 ∘ fB ∘ spE = trz1 ∘ fB ∘ trz0 ∘ spE.
Die nun schon übliche Argumentation der Zurückführung auf die nächstkleinere Dimension und ihrem Charakterisierungssatz zeigt:
(+) trz0 ∘ spE ist eine Spiegelung an einer zu E parallelen Ebene E′.
(z0 steht senkrecht auf E; de facto ist E′ die um den Vektor z0/2 verschobene Ebene E.)
Ebenso zeigt die Argumentation für trz1 ∘ fB:
(i) | Ist fB nichttrivial, so ist trz1 ∘ fB eine nichttriviale Rotation um eine zu G parallele Gerade G′ (da z1 senkrecht auf der Drehachse steht; es gilt G′ = G, falls z1 = 0). In diesem Fall ist G′ ∩ E′ ein Fixpunkt von f, und f ist insgesamt eine Rotationsspiegelung. |
(ii) | Ist fB trivial und z1 ≠ 0, so ist f eine Gleitspiegelung ohne Fixpunkte. |
(iii) | Ist fB trivial und z1 = 0, so ist f eine reine Spiegelung mit Fixpunktmenge E′, und damit eine Rotationsspiegelung (mit trivialem Rotationsanteil). |
Dies zeigt (b) und (c).
Hinsichtlich der Darstellung beliebiger Isometrien durch Kompositionen von Spiegelungen gilt im dreidimensionalen Raum:
Übung
(i) | Jede Isometrie im ℝ3, die den Nullpunkt festhält, ist die Komposition von höchstens drei Spiegelungen an Ebenen durch den Nullpunkt. |
(ii) | Jede Isometrie im ℝ3 ist die Komposition von höchstens vier Spiegelungen an Ebenen im ℝ3. |
Wie zu erwarten gilt allgemein, dass jede Isometrie auf dem ℝn für alle n eine Komposition von höchstens n + 1-vielen Spiegelungen an Hyperebenen im ℝn ist.
Der Leser konsultiere [ Bachmann 1973 ] für eine abstrakte Behandlung der Geometrie, die den Begriff der Spiegelung an die Spitze stellt.