Paradoxe Zerlegungen

 Sei S2 wieder die Einheitssphäre im 3. Wir werden zeigen:

Satz (Satz von Hausdorff über Messungen auf der Kugeloberfläche)

Es gibt keinen rotationsinvarianten Inhalt μ : (S2 +0 mit μ(S2) > 0.

 Bevor wir die Methoden zum Beweis dieses Satzes in angemessener Allgemeinheit entwickeln, halten wir fest:

Korollar

Das Inhaltsproblem ist für die Dimensionen n ≥ 3 unlösbar.

Genauer gilt: Es existiert kein voller σ-finiter und rotationsinvarianter Inhalt μ im 3 mit μ({ 0 }) = 0 und 0 < μ(K) < ∞ für die Einheitskugel K ⊆ 3.

Beweis

Es genügt, die zweite Aussage zu zeigen (!).

Annahme, ein solches μ existiert. Für A ⊆ S2 sei

μ*(A)  =  μ(⋃x  ∈  A { α x | 0 < α ≤ 1 }).

Dann ist μ* : (S2 +0 ein rotationsinvarianter Inhalt und es gilt

μ*(S2)  =  μ(K − { 0 })  =  μ(K)  >  0,

im Widerspruch zum Satz von Hausdorff.

 Alle Konstruktionen, die zeigen, dass ein voller Inhalt μ mit bestimmten Symmetrieeigenschaften nicht existiert, beruhen auf dem gleichen Schema: Man konstruiert eine Zerlegung einer Menge M in zwei oder mehr Teile A1, …, An derart, dass die Teile untereinander und zudem jeweils zu ganz M symmetrisch sind (etwa kongruent im n). Es müsste dann aufgrund der Symmetrieinvarianz von μ sowohl μ(Ai) = μ(M)/n als auch μ(Ai) = μ(M) gelten für alle 1 ≤ i ≤ n, was nur für μ(M) = 0 möglich ist. Gelingt also eine solche Zerlegung für „große“ vertraute Mengen M wie etwa die Sphäre S2 oder die Vollkugel und die Symmetrieeigenschaften der Isometriegruppe, so erscheinen die Zerlegungen als „paradox“. Und es gelingt, mit Hilfe abstrakter Methoden, tatsächlich: Man kann etwa eine Vollkugel des Radius r in endlich viele Teile zerlegen, sodass durch Rotation und Translation dieser Teile zwei Vollkugeln des Radius r entstehen. Dies folgt aus dem sog. Banach-Tarski-Paradoxon, das wir unten beweisen werden. („Abstrakte Methoden“ heißt hier, dass das Auswahlaxiom verwendet wird, oder zumindest Prinzipien wie der Satz von Hahn-Banach, die über die mengentheoretische Axiomatik ohne Auswahlaxiom hinausgehen.)

 Mit einer (aus heutiger Sicht allzu weit) gefassten Symmetrieeigenschaft erlauben viele Mengen paradoxe Zerlegungen: Betrachten wir etwa Mengen A, B ⊆ 3 als symmetrisch, wenn A = g″ B für ein g  ∈  𝒮3, also für eine Bijektion g : 3  3 gilt, so sind eine und zwei Vollkugeln sicher äquivalent, da sie ja die gleiche Mächtigkeit haben. Man wird aber erst gar nicht erwarten, dass ein Volumen-Maß invariant ist unter Gleichmächtigkeit. Die Existenz von geometrisch einfachen paradoxen Zerlegungen, also die Möglichkeit der Beschränkung der vollen Symmetriegruppe auf die Isometriegruppe ist es, die dem Thema seine Faszination verleiht − ganz unabhängig von den limitierenden Konsequenzen für die abstrakte mathematische Theorie des Messens.

 Der Leser betrachte auch noch einmal die Konstruktion von Vitali: Hier wurde  (oder die Kreislinie) in unendlich viele symmetrische Teile zerlegt, wobei symmetrisch hier einfach „durch Translation ineinander überführbar“ bedeutet. Im Folgenden betrachten wir nur Zerlegungen in endlich viele Teile.

Zerlegungsgleiche Mengen

 Wir behandeln die Paradoxa von Hausdorff (1914) und Banach und Tarski (1924) in einer Form, die auf John von Neumann (1929) zurückgeht. Wir brauchen hierzu einige Sprechweisen und Begriffe der Gruppentheorie.

Definition (Operation einer Gruppe auf einer Menge, gA, Fx, FA)

Sei 〈 G, · 〉 eine Gruppe, und sei M eine Menge.

Weiter sei H : G  MM eine Abbildung.

Wir schreiben kurz gx für H(g)(x) für alle g  ∈  G und x  ∈  M.

Die Gruppe G operiert auf M durch H, falls für alle g, h  ∈  G und x  ∈  M gilt:

(i)

g (h x)  =  (g · h) x.

(ii)

1 x  =  x.

Für g  ∈  G, F ⊆ G, x  ∈  M und A ⊆ M setzen wir:

gA  =  { g x | x  ∈  A },  Fx  =  { f x | f  ∈  F },  FA  =  { f x | f  ∈  F, x  ∈  A }.

Übung

Operiert G auf M durch H, so ist H(g) : M  M bijektiv für alle g  ∈  G.

Weiter ist H(g · h) = H(g) ∘ H(h) für alle g, h  ∈  G.

 Es ist ungefährlich, sowohl die Gruppenoperation als auch die Operation von G auf M multiplikativ zu schreiben und Malpunkte wegzulassen. Die Operation H muss dann nicht mehr erwähnt werden, und wir sagen kurz, dass G auf M operiert.

 Jede Gruppe 〈 G, · 〉 operiert auf sich selbst (d. h. auf der Menge G) durch H(g)(h) = g · h für g, h  ∈  G.

 Ist M eine Menge, so sei wieder 𝒮M = { f : M  M | f ist bijektiv } die Permutationsgruppe von M. Ist dann G eine Untergruppe von 〈 𝒮M, ∘ 〉, so operiert G auf M durch Anwendung, d. h. durch H(g)(x) = g(x) für alle g  ∈  G und x  ∈  M. In diesem Fall ist weiter gA = g″ A für alle A ⊆ M.

 Diese beiden Typen von operierenden Gruppen genügen für alles Folgende.

 De facto ist das zweite Beispiel allgemeiner Natur: Denn sei 〈 G, · 〉 eine Gruppe, die auf M durch H operiert. Dann ist G′ = { H(g) | g  ∈  G } eine Untergruppe von 〈 𝒮M, ∘ 〉 und die Operation von G auf M durch H ist identisch mit der Operation von G′ auf M durch Anwendung. Speziell gilt dies für Gruppen, die auf sich selbst operieren. Hier ist es besonders suggestiv, ein g  ∈  G mit der zugehörigen Bijektion H(g) : G  G zu identifizieren.

 Operiert eine Gruppe G auf M, so bietet sich der folgende Symmetriebegriff für Teilmengen A und B von M an:

Definition (G-Zerlegungen in n-Teile, zerlegungsgleich)

Sei G eine auf M operierende Gruppe.

Wir definieren für A, B ⊆ M und n ≥ 1:

A  ∼Gn  B,  falls es A1, …, An ⊆ A, B1, …, Bn ⊆ B, g1, …, gn  ∈  G gibt mit:

(i)

Ai ∩ Aj  =  Bi ∩ Bj  =  ∅  für i ≠ j,

(ii)

1 ≤ i ≤ n Ai  =  A,  ⋃1 ≤ i ≤ n Bi  =  B,

(iii)

gi Ai  =  Bi  für alle 1 ≤ i ≤ n.

Wir nennen 〈 Ai, Bi, gi | 1 ≤ i ≤ n 〉 wie in (i) - (iii) auch eine (G-)Zerlegung von A und B in n Teile.

Schließlich setzen wir für A, B ⊆ M:

A  ∼G  B,  falls  ein n ≥ 1 existiert mit A ∼Gn B.

Gilt A ∼G B, so nennen wir A und B auch zerlegungsgleich bzgl. G oder auch stückweise G-kongruent.

von Neumann (1929): 

„Wir verallgemeinern den Banach-Tarskischen Begriff der endlichen Zerlegungsgleichheit [ für Mengen im n und Isometrien ] folgendermaßen:

Sei wieder  eine beliebige Menge, und sei 𝒢 eine Gruppe eineindeutiger Abbildungen von  auf sich selbst. Wir nennen zwei Teilmengen 𝒩, 𝒫 von  in Bezug auf 𝒢 endlich zerlegungsgleich … wenn es zwei Zerlegungen derselben in gleichviel (u. zw. endlich viel) paarweise elementfremde Summanden [ 𝒩1, 𝒩2, …, 𝒩k bzw. 𝒫1, 𝒫2, …, 𝒫k ] gibt und dazu k Elemente σ1, …, σk von 𝒢, sodass

𝒫1  =  σ1𝒩1, 𝒫2  =  σ2𝒩2, …, 𝒫k  =  σk𝒩k

ist“.

 Wir schreiben kurz ∼ statt ∼G, falls die Gruppe G fixiert ist.

 Den Relationen ∼Gn mangelt es i. A. an Transitivität. Dagegen ist ∼G in der Tat eine Äquivalenzrelation:

Satz (Multiplikationsregel für Zerlegungen)

Sei G eine auf M operierende Gruppe.

Dann ist ∼G eine Äquivalenzrelation auf (M).

Sind A, B, C ⊆ M mit A ∼n B und B ∼m C, so ist A ∼n · m C.

Beweis

Reflexivität und Symmetrie sind klar.

Wir zeigen also die Behauptung über die Transitivität. Seien also 〈 Ai, Bi, gi | 1 ≤ i ≤ n 〉 und 〈 Bj*, Cj, gj* | 1 ≤ j ≤ m 〉 G-Zerlegungen von A und B in n-Teile bzw. von B und C in m-Teile.

Für 1 ≤ i ≤ n und 1 ≤ j ≤ m setzen wir:

Bi, j =  Bi  ∩  Bj*,
Ai, j =  gi−1 Bi, j,  Ci, j  =  gj* Bi, j,
gi, j =  gj* gi,

Dann ist 〈 Ai, j, Ci, j, gi, j | 1 ≤ i ≤ n, 1 ≤ j ≤ m 〉 eine G-Zerlegung von A und C in (n · m)-viele Teile.

 Im Kontext der Zerlegungen gilt weiter der Satz von Cantor-Bernstein. Wie für die reine Mächtigkeitstheorie ist er eine große Erleichterung für den Nachweis der Äquivalenz zweier Mengen. Wir definieren hierzu die zu ∼G gehörige Einbettungsrelation:

Definition (≼Gn und ≼G)

Sei G eine auf M operierende Gruppe.

Wir definieren für A, B ⊆ M und n ≥ 1:

A  ≼Gn  B, falls  ein B′ ⊆ B existiert mit A ∼Gn B′,
A  ≼G  B, falls  ein n ≥ 1 existiert mit A ≼Gn B.

 Für ≼ gilt nun wieder Antisymmetrie modulo der Äquivalenzrelation ∼G. Dies zeigt der folgende Satz von Banach ([ Banach 1924 ], [ Banach / Tarski 1924 ]):

Satz (Banachs Version des Satzes von Cantor-Bernstein)

Sei G eine auf M operierende Gruppe.

Seien A, B ⊆ M mit A ≼Gn B und B ≼Gm A.

Dann gilt A ∼Gn + m B.

Beweis

Seien 〈 Ai, B′i, gi | 1 ≤ i ≤ n 〉 und 〈 Bj, A′j, g*j | 1 ≤ j ≤ m 〉 Zerlegungen von A und B′ ⊆ B bzw. von B und A′ ⊆ A. Wir setzen:

g  =  ⋃1 ≤ i ≤ n gi|Ai,  g*  =  ⋃1 ≤ j ≤ m g*j|Bj,

wobei wir die Gruppenelemente als Funktion auf M auffassen.

Dann sind g : A  B und g* : B  A injektiv.

Nach dem Korollar zum Satz von Cantor-Bernstein in Kapitel 2 existiert eine Zerlegung Z0, Z1 von A mit Z1 ⊆ rng(g*) = A′ derart, dass

h  =  g|Z0  ∪  g*−1|Z1

eine Bijektion von A nach B ist.

Sei Y0 = h″ Z0, Y1 = h″ Z1 die entsprechende Zerlegung von B. Dann ist:

〈 Ai ∩ Z0,  B′i ∩ Y0,  gi | 1 ≤ i ≤ n 〉 eine Zerlegung von Z0 und Y0,  und

〈 Bj ∩ Y1,  A′j ∩ Z1,  g*j | 1 ≤ j ≤ m 〉 eine Zerlegung von Z1 und Y1.

Dies zeigt A ∼Gn + m B.

 Die Additivitätsregel ergibt sich also sehr anschaulich aus der Natur der im Beweis der Originalversion gewonnenen Bijektion; sie beruht auf einer Zerlegung der beiden Mengen in zwei Teile.

Paradoxe Mengen und paradoxe Gruppen

 Hauptaugenmerk liegt im Folgenden auf den Isometriegruppen n des n, die auf n durch Anwendung operieren. Für Punktmengen A und B im n bedeutet dann A ∼ B, dass A und B in endlich viele Teile zerlegt werden können, die durch Anwendung von Isometrien zur Deckung gebracht werden können. Die Intuition sagt vielleicht: „Sind A, B Lebesgue-messbar und gilt A ∼ B, so haben A und B das gleiche Lebesgue-Maß…“ Dass diese Intuition falsch ist, ist ein Grund für die Häufigkeit des Wortes „paradox“ in diesen Untersuchungen. Wir halten zur Ehrenrettung der Intuition fest:

Satz (über zerlegungsgleiche Teilmengen der Linie und der Ebene)

Sei n  ∈  { 1, 2 }, und sei n die Isometriegruppe des n (die auf n durch Anwendung operiert). Weiter seien A, B ⊆ n mit:

(i)

A, B sind Lebesgue-messbar.

(ii)

A ∼n B.

Dann haben A und B das gleiche Lebesgue-Maß.

Die Aussage gilt weiter für alle n ≥ 1, falls wir statt n lediglich die Gruppe der Translationen des n betrachten.

Beweis

Folgt unmittelbar aus der Existenz einer Fortsetzung des Lebesgue-Maßes zu einem vollen bewegungsinvarianten Inhalt auf n für n ≤ 2 bzw. einem translationsinvarianten Inhalt auf n für alle n ≥ 1.

 Wir werden sehen, dass der Satz für n ≥ 3 falsch wird, sobald wir neben Translationen auch Rotationen für die Zerlegungsgleichheit zulassen. Eine zu einem Gegenbeispiel A, B gehörige n-Zerlegung von A und B kann dann offenbar nicht ausschließlich aus „ordentlich“ messbaren Mengen bestehen. Die abstrakte Definition für Mengen im n, die in einem bestimmten Sinne nicht „ordentlich“ gemessen werden können, ist:

Definition (paradoxe Mengen und paradoxe Gruppen)

Sei G eine auf M operierende Gruppe.

Ein A ⊆ M, A ≠ ∅, heißt paradox bzgl. G, falls ein B ⊆ A existiert mit:

A  ∼G  B  ∼G  A − B.

B, A − B heißt dann eine paradoxe Zerlegung von A (bzgl. G).

Eine Gruppe G heißt paradox, falls die Menge G unter der Operation von G auf sich selbst paradox ist.

Übung

Sei A ⊆ M paradox bzgl. G, und sei A′ ∼G A.

Dann ist auch A′ paradox bzgl. G.

 Nehmen wir an, es gibt einen G-invarianten σ-finiten vollen Inhalt μ auf M, d. h. μ(A) = μ(gA) für alle A ⊆ M und alle g  ∈  G. Ist A ⊆ M paradox und μ(A) < ∞, so gilt:

μ(A)  =  μ(B)  =  μ(A − B)  und  μ(B)  =  μ(A)/2,

was nur für μ(A) = 0 möglich ist. Die Suche ist also die nach „inhaltsreichen“ G-paradoxen Mengen, etwa der Einheitskugel für die Isometriegruppe. Solche Mengen zeigen dann, dass μ nicht existieren kann.

 Der Weg zu paradoxen Mengen führt über paradoxe auf diesen Mengen operierende Gruppen. Dieser erste Schritt ist oft konkret-kombinatorischer Natur, während der Übergang zu paradoxen Mengen abstrakte Methoden heranzieht.

 Um zu zeigen, dass eine Gruppe G paradox ist, genügt es nach Cantor-Bernstein, zwei disjunkte Mengen A, B ⊆ G zu finden mit G ≼ A und G ≼ B. Denn dann ist A ≼ G ≼ A und G − A ≼ G ≼ B ≼ G − A, also A ∼ G ∼ G − A.

 Mit dieser Methode können wir nun sehr einfach zeigen, dass die Gruppe F2 eine paradoxe Zerlegung zulässt (zur Definition der F2 siehe Kapitel 4):

Satz (Paradoxie der freien Gruppe mit zwei Generatoren)

F2 ist paradox.

Beweis

Sei F2 erzeugt von φ und ψ. Wir setzen:

As  =  { w  ∈  F2 | w ist reduziert und beginnt mit s }  für s  ∈  { φ, φ−1, ψ, ψ−1 },

Φ  =  Aφ  ∪  Aφ−1,  Ψ  =  Aψ  ∪  Aψ−1.

Dann sind Φ und Ψ disjunkt (und Φ ∪ Ψ = F2 − { 1 }).

Weiter gilt F2  ∼2  Φ, denn die Zerlegung

Aφ,  F2 − Aφ von  F2wird durch  1 und φ−1in die Zerlegung
Aφ,  Aφ−1 von  Φ übergeführt.

Analog zeigt man F22 Ψ. Somit F2 ≼ Φ,  F2 ≼ Ψ und Φ ∩ Ψ = ∅, und mit Cantor-Bernstein folgt die Behauptung.

 Ähnlich wie in vielen Fällen der Mächtigkeitstheorie kann man mit etwas kombinatorischem Spürsinn die Verwendung von Cantor-Bernstein vermeiden, und konkret eine hübsche Zerlegung von F2 angeben, die auch die 1 mit einbezieht, im Gegensatz zu Φ ∪ Ψ = F2 − { 1 }. De facto gewinnt man eine solche Zerlegung, indem man aus dem Beweis des Satzes von Cantor-Bernstein für den vorliegenden Fall eine konkrete Bijektion extrahiert, was zur Beachtung der Menge C = { φ, φ2, … } führt, für die φ−1C = { 1 } ∪ C gilt. Man gelangt so zu:

Satz (Paradoxie der freien Gruppe mit zwei Generatoren, II)

Es gilt F2  ∼2  Φ ∪ { 1 } und F2  ∼2  Ψ,

wobei wie im Beweis oben Φ = Aφ ∪ Aφ−1, Ψ = Aψ ∪ Aψ−1.
Beweis

Sei C = { φn | n ≥ 1 }. Dann ist C ⊆ Aφ und φ−1C  =  C ∪ { 1 }.

Die Zerlegung

Aφ − C,  (F2 − Aφ) ∪ C von F2 wird durch 1 und φ−1 in die Zerlegung
Aφ − C,  Aφ−1 ∪ C ∪ { 1 } von Φ ∪ { 1 } übergeführt.

Also gilt F22 Φ ∪ { 1 }. F22 Ψ ist wie im Beweis oben.

 Für paradoxe Gruppen gilt die folgende allgemeine Ausdehnungseigenschaft: Paradoxe Zerlegungen lassen sich zu paradoxen Zerlegungen von größeren Gruppen erweitern.

Satz (Ausdehnungseigenschaft für paradoxe Gruppen)

Sei G eine Gruppe, und sei F eine paradoxe Untergruppe von G.

Dann ist G paradox.

Beweis

Sei R ⊆ G mit der Eigenschaft:

(+)  Für alle g  ∈  G existieren eindeutig f  ∈  F und h  ∈  R mit g = f h.

Zur Existenz von R

Für g, h  ∈  G setzen wir:

g ≡  h,  falls  ein f  ∈  F existiert mit g  =  f h.

Dann ist ≡  eine Äquivalenzrelation auf G (mit g/≡  = Fg für alle g  ∈  G).

Sei R ein vollständiges Repräsentantensystem von ≡ .

Dann ist R wie gewünscht. Denn sei g  ∈  G.

Dann existiert h  ∈  R mit g ≡  h. Also existiert ein f  ∈  F mit g = f h.

Ist f1 h1 = f2 h2 mit f1, f2  ∈  F, h1, h2  ∈  R, so ist f2−1 f1 h1 = h2, also h1 ≡  h2 und damit h1 = h2. Dann aber f2−1 f1 = 1, also auch f1 = f2.

Wegen F paradox existiert ein A ⊆ F mit F ∼F A ∼F F − A.

(Wir können hier auch ∼G statt ∼F schreiben.)

Wegen (+) ist G = FR und dann gilt (!):

G  =  F R  ∼G  A R  ∼G(F − A) R  =  G − AR.

Also ist G paradox unter der Zerlegung AR und G − AR.

 Die die Zerlegungsgleichheit bezeugenden Gruppenelemente können aus F gewählt werden. Weiter ist o. E. 1  ∈  R, und dann ist A ⊆ AR.

 Im vierten Kapitel haben wir gezeigt, dass die Rotationsgruppe SO3 eine Kopie von F2 enthält. Damit erhalten wir:

Korollar (Paradoxie der Rotationsgruppe des 3)

SO3 ist paradox.

 Man wird vermuten, dass eine paradoxe Gruppe, die auf einer Menge M operiert, paradoxe Zerlegungen von M oder zumindest von Teilmengen von M induziert. In der Tat besteht der folgende Zusammenhang:

Satz (durch paradoxe Gruppen induzierte paradoxe Mengen)

Sei G eine paradoxe auf M operierende Gruppe.

Weiter sei N ⊆ M, N ≠ ∅, derart, dass gilt:

(i)

gx  ∈  N  für alle x  ∈  N und alle g  ∈  G (d. h. GN ⊆ N),

(ii)

gx  ≠  x  für alle x  ∈  N und alle g  ∈  G mit g ≠ 1.

Dann ist N paradox.

 Der Leser vergleiche den folgenden Beweis mit dem der Ausdehnungseigenschaft.

Beweis

Wir definieren für x, y  ∈  N:

x  ≡   y,  falls  ein g  ∈  G existiert mit gx = y.

Dann ist ≡  eine Äquivalenzrelation auf N, und für alle x  ∈  N gilt mit (i)

x/≡   =  { g x | g  ∈  G }.

Sei R ein vollständiges Repräsentantensystem von ≡ . Dann gilt:

(+)  gR  ∩  hR  =  ∅  für alle g, h  ∈  G mit g ≠ h.

Beweis von (+)

Seien g, h  ∈  G, und seien x, y  ∈  R mit gx = hy.

Dann ist (h−1g) x = y, also x ≡  y und damit x = y wegen x, y  ∈  R.

Also gilt gx = hx. Nach (ii) ist dann h−1 g = 1, also g = h.

Sei nun A ⊆ G derart, dass G ∼G A ∼G G − A.

Dann gilt:

N  =  GR  ∼G  A R  ∼G(G − A)R  =  N  −  A R.

Also ist AR, N − AR eine paradoxe Zerlegung von N.

 Das auf einem Repräsentantensystem für G-Orbits ruhende Argument findet sich im Wesentlichen bereits 1914 bei Hausdorff.