Die Baire-Eigenschaft
Wir suchen nach einem topologischen Begriff von „kleine Teilmenge eines topologischen Raumes“. Die Abzählbarkeit einer Teilmenge ist ein sinnvoller Kleinheitsbegriff für überabzählbare topologische Räume, hat aber mit der Topologie des Raumes nichts zu tun. Gesucht ist ein Begriff, der die individuellen Ecken und Kanten des Raumes besser ausleuchtet.
Ein solcher Begriff lässt sich folgendermaßen motivieren. Sei 𝒳 = 〈 X, 𝒰 〉 ein topologischer Raum. Die nichtleeren offenen Mengen von 𝒳 dürfen als gehaltvoll, nichtklein, beträchtlich gelten, auch wenn sie, im metrisierbaren Fall, noch so kleinen Durchmesser haben. Damit bietet sich als erste Idee an:
(−) P ⊆ X ist klein, falls P keine nichtleere offene Menge enthält.
Diese Definition ist jedoch ungeeignet: Ist P ⊆ X derart, dass P und X − P dicht in 𝒳 sind, so sind P und X − P klein, aber P ∪ (X − P) = X ist nicht mehr klein. Allgemeiner stößt unsere erste Idee auf Schwierigkeiten, falls P und X − P dicht in einer offenen Menge U sind, denn dann sind die Mengen P und X − P klein, aber ihre Vereinigung enthält U und ist damit nicht mehr klein. Von hier ist man nun nur noch eine kleine Überlegung von einer guten Definition entfernt: Statt „P enthält keine nichtleere offene Menge“ fordern wir stärker
(+) „der Abschluss von P enthält keine nichtleere offene Menge“.
Wir definieren also:
Definition (nirgendsdicht)
Sei 𝒳 = 〈 X, 𝒰 〉 ein topologischer Raum, und sei P ⊆ X.
P heißt nirgendsdicht, falls int(cl(P)) = ∅.
Aus der Definition folgt: P ist nirgendsdicht gdw cl(P) ist nirgendsdicht.
Die Cantormenge C ⊆ [ 0, 1 ] ist nirgendsdicht. Paradebeispiele für nirgendsdichte Mengen bilden weiter die Ränder von offenen oder abgeschlossenen Mengen in einem topologischen Raum:
Übung
Sei 𝒳 = 〈 X, 𝒰 〉 ein topologischer Raum, und sei P ⊆ X offen oder abgeschlossen. Dann ist der Rand bd(P) = cl(P) − int(P) von P nirgendsdicht.
[ Für alle P ⊆ X gilt bd(P) = bd(X − P) = cl(P) − int(P) = cl(P) ∩ cl(X − P). ]
Speziell für den Baireraum lassen sich nirgendsdichte Mengen recht anschaulich beschreiben. Sei hierzu P ⊆ 𝒩. Dann ist P genau dann nirgendsdicht, wenn für alle s ∈ Seq ein t ≥ s existiert mit Nt ∩ P = ∅ (!). Nirgendsdichte Mengen im Baireraum haben also „nach jeder Stelle Löcher“. P lässt oberhalb jedes Knotens s im Baum Seq ein ganzes Intervall Nt mit t ≥ s aus.
Im Sinne der informalen Beschreibung der offenen und abgeschlossenen Mengen im Baireraum bedeutet „P ⊆ 𝒩 ist nirgendsdicht“: Nach jeder Stelle der Beobachtung eines f ∈ 𝒩 können wir hoffen, dass wir irgendwann wissen werden, dass f nicht in P liegt.
Eine für manche Leser vielleicht allzu phantasievolle, aber doch ungemein suggestive Vorstellung ist es hier, sich eine Menge P ⊆ 𝒩 als eine „Gefahr“ vorzustellen. Ein sich durch Preisgabe von f (0), f (1), … stückweise offenbarendes f erliegt der Gefahr P, falls „am Ende“ f ∈ P gilt. Wir denken uns f als nichtdeterminiert, was aber lediglich eine andere Sprechweise für unsere Unkenntnis des Verlaufs von f bedeuten soll; f ist uns fremd, wir bekommen zum Zeitpunkt n lediglich die Entscheidung f (n) von f mitgeteilt. P nirgendsdicht meint dann: f kann bei günstigem Verlauf die Gefahr P ein für allemal vermeiden, und es kann zudem dieses endgültige Vermeiden beliebig lange hinauszögern, denn es gibt keine falschen endlichen Entscheidungen, die zwangsläufig in P enden würden. Bei komplex strukturierten Gefahren P muss ein f lediglich in unendlicher Hinsicht vorsichtig sein, aber keine einzelne Entscheidung ist wirklich fatal.
Wir haben einen Kleinheitsbegriff gefunden, der stabil ist unter endlichen Vereinigungen:
Übung
Sei 𝒳 = 〈 X, 𝒰 〉 ein topologischer Raum, und seien P1, …, Pn ⊆ X nirgendsdicht in 𝒳. Dann ist ⋃i ≤ n Pi nirgendsdicht in 𝒳.
Abzählbare Vereinigungen von nirgendsdichten Mengen können dagegen sogar überall dicht sein: Ist 𝒳 = 〈 X, 𝒰 〉 ein perfekter nichtleerer polnischer Raum, und Y ⊆ X abzählbar und dicht in X, so ist Y = ⋃x ∈ Y { x }, und wegen Perfektheit von 𝒳 ist { x } nirgendsdicht in 𝒳 für alle x ∈ X. (Ist x ein isolierter Punkt eines polnischen Raumes, so ist { x } offen und nicht nirgendsdicht.)
Eine Ei-des-Kolumbus-Idee ist nun, den Begriff nirgendsdicht einfach unter abzählbaren Vereinigungen abzuschließen, und dann zu behaupten, dass immer noch ein Kleinheitsbegriff vorliegt. Diese Kühnheit zahlt sich in vielen Fällen aus, wie der Bairesche Kategoriensatz gleich zeigen wird. Wir definieren:
Definition (mager, komager)
(i) | P heißt mager oder eine Baire-Nullmenge, falls P eine abzählbare Vereinigung von nirgendsdichten Mengen ist. |
(ii) | P heißt komager oder hat Baire-Maß 1, falls X − P mager ist. |
Den erfahrungsgemäß nicht ganz leicht verdaulichen Begriff der Magerkeit kann man mit obiger Interpretation für P ⊆ 𝒩 noch relativ anschaulich so beschreiben: Es gibt eine Zerlegung der Gefahr P in Teilgefahren P0, P1, …, Pn, … sodass gilt: Nach jedem Zeitpunkt n besteht für jedes m ∈ ℕ noch die Möglichkeit, dass f irgendwann unabänderlich in 𝒩 − Pm liegen wird. Ein bis n bekanntes f kann bei gutem weiteren Verlauf jeder der Gefahren Pm ein für alle mal entkommen, ohne dabei zwangsläufig einer anderen Gefahr Pk zu erliegen. Wer nun sagt: „Offenbar kann dann f bei gutem unendlichen Verlauf überleben“, hat den Baireschen Kategoriensatz für 𝒩 direkt vor Augen.
In der Tat ist der fast triviale Beweis des Baireschen Kategoriensatzes für 𝒩 eines der schönsten Beispiele für die Klarheit des Folgenraumes. Er besagt für 𝒩, dass auch abzählbar viele nirgendsdichte Teilmengen von 𝒩 zusammengenommen immer noch klein sind, und rechtfertigt in seiner allgemeinen Form im Nachhinein die Begriffsbildung „mager“.
Den Begriff der Magerkeit erläutert vielleicht am besten der zugehörige Hauptsatz, der für viele topologische Räume gilt: Eine abzählbare Vereinigung kann die Lücken nicht schließen, die nirgendsdichte Mengen aufweisen. Wir geben den Beweis zunächst für 𝒩.
Satz (Bairescher Kategoriensatz für 𝒩)
Ns ist nicht mager für alle s ∈ Seq.
Beweis
Seien An ⊆ 𝒩 nirgendsdicht für n ∈ ℕ.
Sei s ∈ Seq. Wir definieren rekursiv für n ∈ ℕ:
t0 | = „ein t ∈ Seq mit s ≤ t und A0 ∩ Nt = ∅“, |
tn + 1 | = „ein t ∈ Seq mit tn < t und An + 1 ∩ Nt = ∅“. |
Sei f = ⋃n ∈ ℕ tn. Dann ist f ∈ Ns, aber f ∉ ⋃n ∈ ℕ An.
Da jede abzählbare Menge in 𝒩 trivialerweise mager ist, erhalten wir hieraus einen weiteren Beweis für die Überabzählbarkeit von 𝒩 (und damit auch von ℝ):
Korollar (Überabzählbarkeit aus Mangel an Magerkeit)
𝒩 ist überabzählbar.
Allgemeiner gilt der Kategoriensatz nicht nur für 𝒩 oder ℝ, sondern für beliebige polnische Räume:
Satz (Bairescher Kategoriensatz für polnische Räume)
Sei 𝒳 = 〈 X, 𝒰 〉 ein polnischer Raum, und sei U ⊆ X offen und nichtleer.
Dann ist U nicht mager.
Der Beweis sei dem Leser zur Übung überlassen.
Der Satz gilt sogar noch etwas allgemeiner in jedem vollständig metrisierbaren topologischen Raum und weiter auch in jedem lokal kompakten Hausdorff-Raum.
Nützlich ist auch die folgende duale Version des Kategoriensatzes:
Korollar (duale Formulierung des Baireschen Kategoriensatzes)
Sei 𝒳 = 〈 X, 𝒰 〉 ein polnischer Raum, und seien Un ⊆ X offen und dicht.
Dann ist ⋂n ∈ ℕ Un dicht.
Beweis
Sei An = X − Un für n ∈ ℕ. Wegen Un offen und dicht ist An nirgendsdicht für alle n ∈ ℕ.
Sei nun V offen und nichtleer. Dann ist V nicht mager, also ist V − ⋃n ∈ ℕ An = V ∩ ⋂n ∈ ℕ Un nichtleer.
Ein weiteres Korollar ist:
Übung
Sei 𝒳 = 〈 X, 𝒰 〉 ein polnischer Raum, und sei P ⊆ X komager.
Dann ist P dicht in X.
Obiges Korollar kann man nun auch so einsehen: Offene und dichte Mengen sind komager. Also ist auch der abzählbare Schnitt offener und dichter Mengen komager, und damit insbesondere dicht.
Die Aussagen des Korollars und der Übung sind de facto jeweils äquivalent zur Aussage des Kategoriensatzes, d. h. für beliebige topologische Räume gilt: Offene nichtleere Mengen sind nicht mager gdw abzählbare Schnitte von offenen dichten Mengen sind dicht gdw komagere Mengen sind dicht. Wir definieren:
Definition (Bairescher Raum)
Sei 𝒳 = 〈 X, 𝒰 〉 ein topologischer Raum.
𝒳 heißt ein Bairescher Raum, falls jedes nichtleere U ∈ 𝒰 nicht mager ist.
Jeder polnische Raum ist ein Bairescher Raum, und insbesondere ist der Baireraum ein Bairescher Raum − womit also der ähnliche Klang der Worte gefahrlos ist. Nicht jeder Bairesche Raum ist dagegen polnisch.
„Bairescher Raum“ bedeutet, dass der Kleinheitsbegriff „nirgendsdicht“ eine sehr gute Grundlage für einen umfassenderen Begriff von „klein“ ist; selbst abzählbare Summen von kleinen Mengen ergeben niemals alles, und a posteriori ist dann „mager“ ein sogar σ-stabiler Kleinheitsbegriff. Hierzu:
Definition (σ-Ideal)
Sei X eine nichtleere Menge, und sei ℐ ⊆ ℘(X) nichtleer.
ℐ heißt ein σ-Ideal auf X, falls gilt:
(i) | X ∉ ℐ. |
(ii) | Ist A ∈ ℐ und B ⊆ A, so ist B ∈ ℐ. |
(iii) | Ist An ∈ ℐ für alle n ∈ ℕ, so ist ⋃n ∈ ℕ An ∈ ℐ. |
Wir haben also gezeigt, dass die mageren Teilmengen eines nichtleeren polnischen Raumes 𝒳 = 〈 X, 𝒰 〉 ein σ-Ideal auf X bilden. σ-Ideale sind gute Begriffe für „kleine Teilmenge“, und induzieren damit gute Begriffe für „fast gleich“ oder „ähnlich“. Der von der Magerkeit erzeugte Begriff „ähnlich einer offenen Menge“ umgrenzt nun wie die Scheeffer-Eigenschaft gewisse reguläre Mengen:
Definition (Baire-Eigenschaft, P =mager U, Baire(𝒳))
Sei 𝒳 = 〈 X, 𝒰 〉 ein topologischer Raum, und sei P ⊆ X.
P hat die Baire-Eigenschaft oder ist Baire-messbar, falls es eine offene Menge U ⊆ X gibt mit
P =mager U, d. h. P Δ U = (P − U) ∪ (U − P) ist mager.
P heißt dann auch Baire-messbar mit U. Wir setzen:
Baire(𝒳) = { P ⊆ X | P hat die Baire-Eigenschaft }.
Die alternative und langfristig bevorzugte Benennung Baire-messbar wird der übernächste Satz motivieren.
Beim Baireschen Messen treten viele symmetrische Differenzen auf, und wir halten daher einige einfach zu beweisende, aber nicht zu jeder Tageszeit klar vor Augen liegende Regeln für A Δ B = (A − B) ∪ (B − A) fest. Für alle Mengen A, B, C gilt:
(i) | A Δ B = B Δ A = (A − B) ∪ (B − A) = (A ∪ B) − (A ∩ B), |
(ii) | (A Δ B) Δ C = A Δ (B Δ C), |
(iii) | A = (B Δ C) folgt B = (A Δ C), |
(iv) | (A Δ B) ∩ C = (A ∩ C) Δ (B ∩ C), |
(v) | (A Δ B) − C = (A ∪ C) Δ (B ∪ C), |
(vi) | (A Δ B) = (C − A) Δ (C − B) für A, B ⊆ C. |
Wir verwenden derartige Eigenschaften stillschweigend. Das Gleiche gilt für elementare Kongruenzen wie zum Beispiel
A Δ B =mager C und B =mager B′ folgt A Δ B′ =mager C.
Eine Gleichung P Δ U = M ist nach (iii) gleichwertig mit P = U Δ M. Ein P ⊆ X ist also genau dann Baire-messbar, falls es ein offenes U ⊆ X und ein mageres M ⊆ X gibt mit P = U Δ M. Liest man Δ eher als Differenz, so wird man vielleicht P Δ U = M bevorzugen, liest man Δ aufgrund seiner algebraischen Eigenschaften eher als Summe, so erscheint P = U Δ M natürlicher. Was man für die Definition wählt, ist Geschmackssache.
Die erste Frage, die sich bei der Aneignung der Baire-Eigenschaft stellt, ist die, ob eine analoge Definition mit „abgeschlossen“ statt „offen“ einen anderen Begriff ergibt. Dies ist nicht der Fall:
Satz (Austausch von offen und abgeschlossen in der Baire-Eigenschaft)
Sei 𝒳 = 〈 X, 𝒰 〉 ein topologischer Raum, und sei P ⊆ X.
Dann sind äquivalent:
(i) | P ∈ Baire(𝒳), d. h. P =mager U für ein offenes U ⊆ X. |
(ii) | P =mager A für ein abgeschlossenes A ⊆ X. |
Beweis
(i) ↷ (ii) :
Es gilt P Δ U =mager P Δ cl(U) für offene U ⊆ X, denn U Δ cl(U) = cl(U) − U = bd(U) ist mager (sogar nirgendsdicht).
(ii) ↷ (i) :
Es gilt P Δ A =mager P Δ int(A) für abgeschlossene A ⊆ X, denn A Δ int(A) = A − int(A) = bd(A) ist mager (sogar nirgendsdicht).
Wir nennen die Baire-Eigenschaft eine Regularitätseigenschaft und behaupten damit implizit, dass alle Alltagsmengen offen modulo einer mageren Menge sind. Dies ist keineswegs offensichtlich. Es gilt nun aber, dass die Mengen mit der Baire-Eigenschaft eine σ-Algebra darstellen, und damit ist die Weitläufigkeit des Konzepts klar. Genauer zeigt sich, dass die Baire-messbaren Mengen die von den offenen und den nirgendsdichten Mengen erzeugte σ-Algebra bilden:
Satz (Umfang der Baire-messbaren Mengen)
Sei 𝒳 = 〈 X, 𝒰 〉 ein topologischer Raum.
Dann ist Baire(𝒳) eine σ-Algebra auf X. Genauer gilt:
Sei ℬ = ⋂ { 𝒜 | 𝒜 ist eine σ-Algebra auf X mit
𝒰 ∪ { P ⊆ X | P ist nirgendsdicht } ⊆ 𝒜 }. |
Dann ist Baire(𝒳) = ℬ.
Beweis
Baire(𝒳) ist eine σ-Algebra:
Offenbar gilt ∅, X ∈ Baire(𝒳).
Sei P ⊆ X Baire-messbar mit U ∈ 𝒰. Dann ist
(X − P) Δ (X − cl(U)) =mager (X − P) Δ (X − U) = U Δ P
mager. Also ist X − P Baire-messbar mit X − cl(U) ∈ 𝒰.
Sei nun Pn Baire-messbar mit Un ∈ 𝒰 für n ∈ ℕ. Dann ist
⋃n ∈ ℕ Pn Δ ⋃n ∈ ℕ Un ⊆ ⋃n ∈ ℕ (Pn Δ Un)
mager. Also ist ⋃n ∈ ℕ Pn Baire-messbar mit ⋃n ∈ ℕ Un ∈ 𝒰.
Damit ist gezeigt, dass Baire(𝒳) eine σ-Algebra ist.
zu Baire(𝒳) ⊆ ℬ:
Ist P Baire-messbar mit U, so ist M = P Δ U mager. Dann gilt
P = M Δ U = (M − U) ∪ (U − M).
Aber es gilt (M − U) ∪ (U − M) ∈ 𝒜 für alle 𝒜 wie in der Definition von ℬ. Also ist Baire(𝒳) ⊆ ℬ.
zu ℬ ⊆ Baire(𝒳):
Baire(𝒳) ist eine σ-Algebra wie in der Definition von ℬ.
Der Satz erweitert den vorhergehenden. Insbesondere zeigt er, dass „abzählbarer Schnitt von offenen Mengen modulo mager“ und „offen modulo mager“ identische Begriffe sind. In der Umgebung solcher Identitäts-Überlegungen ist auch das folgende Resultat interessant, das die symmetrische Differenz in der Definition der Baire-Eigenschaft eliminiert:
Satz (Darstellungssatz für Baire-messbare Mengen)
Sei 𝒳 = 〈 X, 𝒰 〉 ein topologischer Raum, und sei P ∈ Baire(𝒳).
Dann existieren offene Un und abgeschlossene An, n ∈ ℕ, sowie magere M0 und M1 mit:
P = ⋂n ∈ ℕ Un ∪ M0 = ⋃n ∈ ℕ An − M1.
Vorab ein Satz zum Beweis: Die wesentliche Beobachtung ist, dass der Abschluss einer nirgendsdichten Menge nirgendsdicht ist. Damit ist jede magere Menge eine Teilmenge einer mageren Menge, die eine abzählbare Vereinigung von abgeschlossenen Mengen ist.
Beweis
zur Darstellung P = ⋂n ∈ ℕ Un ∪ M0:
Sei P = U Δ M für ein offenes U und ein mageres M.
Sei M = ⋃n ∈ ℕ Nn mit nirgendsdichten Mengen Nn.
Wir setzen:
(α) | Un | = U − cl(Nn) für n ∈ ℕ, |
(β) | M′ | = U ∩ ⋃n ∈ ℕ (cl(Nn) − Nn), |
(γ) | M″ | = M − U. |
Dann gilt:
P = U Δ M = (U − ⋃n ∈ ℕ Nn) ∪ (M − U) =
(U − ⋃n ∈ ℕ cl(Nn)) ∪ M′ ∪ M″ = ⋂n ∈ ℕ Un ∪ M0, |
wobei M0 = M′ ∪ M″ mager.
zur Darstellung P = ⋃n ∈ ℕ An − M1:
X − P ist Baire-messbar. Sei also gemäß der eben bewiesenen Darstellung
X − P = ⋂n ∈ ℕ Vn ∪ M1
für offene Vn und ein mageres M1.
Weiter sei An = X − Vn für alle n ∈ ℕ. Dann gilt:
P = X − (⋂n ∈ ℕ Vn ∪ M1) = ⋃n ∈ ℕ An − M1.
Die Baire-messbaren Mengen sind also gerade die abzählbaren Schnitte von offenen Mengen, ergänzt um abzählbar viele nirgendsdichte Mengen.
Wir haben gezeigt, dass viele Teilmengen von polnischen Räumen Baire-messbar sind. Mengen, denen die Baire-Eigenschaft nicht zukommt, werden uns im nächsten Kapitel begegnen.
In der neueren mengentheoretischen Forschung spielt eine Verstärkung der Baire-Eigenschaft für Teilmengen von 𝒩 eine Schlüsselrolle, und wir wollen sie als Beispiel für eine starke Regularitätseigenschaft hier wenigstens kurz definieren, ohne sie genauer besprechen oder motivieren zu können.
Definition (universell Baire-messbar)
P ⊆ 𝒩 heißt universell Baire-messbar, falls gilt:
Sei 𝒳 = 〈 X, 𝒰 〉 ein kompakter Hausdorff-Raum, und sei f : X → 𝒩 stetig.
Dann ist f −1″ P Baire-messbar in 𝒳.
Man kann zeigen, dass die universell Baire-messbaren Teilmengen von 𝒩 eine σ-Algebra auf 𝒩 bilden, und dass alle universell Baire-messbaren Mengen Lebesgue-messbar sind (s. u.).
Wir wenden uns nun einer weiteren prominenten Regularitätseigenschaft zu, der Lebesgue-Messbarkeit.