2b. Die Überabzählbarkeit von ℝ (Lösungen)

Übung 1

(a)

Seien M und N abzählbar unendliche Mengen. Zeigen Sie, dass M ∪ N abzählbar unendlich ist.

(b)

Zeigen Sie, dass die Menge 2 = { (n, m) | n, m  ∈   } abzählbar unendlich ist.

Lösung zur Übung 1

zu (a):

Da M und N abzählbar unendlich sind, gibt es Bijektionen f :   N und g :   M. In Folgennotation ist also

f (0),  f (1),  f (2),  …,  f (n),  … eine Aufzählung von M,
g(0),  g(1),  g(2),  …,  g(n),  … eine Aufzählung von N.

Die Aufzählung f durchläuft alle Elemente von M (Surjektivität) und enthält keine Wiederholungen (Injektivität). Analoges gilt für g.

Wir erhalten nun eine Aufzählung von M ∪ N wie folgt. Zunächst bilden wir die Folge

(+)  f (0),  g(0),  f (1),  g(1),  f (2),  g(2),  …,  f (n),  g(n),  …

Diese Folge durchläuft alle Elemente von M ∪ N (Surjektivität), kann aber Wiederholungen enthalten, da die Mengen M und N nicht notwendig disjunkt sind (es kann M ∩ N ≠ ∅ gelten und sogar der Fall M = N ist nicht ausgeschlossen). Durch Streichen von Wiederholungen in (+) erhalten wir eine Folge

h(0),  h(1),  h(2),  …,  h(n),  …,

die ebenfalls alle Elemente von M ∪ N durchläuft, aber nun wiederholungsfrei ist (Injektivität). (Da M und N als unendlich vorausgesetzt sind, ist die h-Folge ebenfalls unendlich.) Die so konstruierte Funktion h :   M ∪ N ist injektiv und surjektiv und damit eine Bijektion. Damit ist M ∪ N abzählbar.

zu (b):

Für jedes (n, m)  ∈  2 nennen wir die natürliche Zahl

g(n, m)  =  n + m

das Gewicht des Paars (n, m). Wir zählen nun die Elemente des Kreuzprodukts  ×  nach ihrem Gewicht wie folgt auf:

(0, 0),(Gewicht 1)

(0, 1),  (1, 0),(Gewicht 1)

(0, 2),  (1, 1),  (2, 0),(Gewicht 2)

(0, k),  (1, k − 1),  …,  (k − 1, 1),  (k, 0),(Gewicht k)

Da jedes Paar ein Gewicht g besitzt und für jedes Gewicht k nur endlich viele Paare das Gewicht k haben, durchläuft die Aufzählung alle Elemente von 2 ohne Wiederholungen. Wir erhalten so eine Bijektion f :   2. Damit ist 2 abzählbar unendlich.

Bemerkung: Diagonalaufzählung und Paarungsfunktion

Die Paar mit Gewicht k liegen auf einer Diagonalen im Gitter  × . Die konstruierte Aufzählung f ist als Cantorsche Diagonalaufzählung von 2 bekannt, ihre Umkehrfunktion π = f −1 heißt das Cantorsche Paarungspolynom. Man kann zeigen, dass

π(n, m)  =  f −1(n, m)  =  (n + m) (n + m + 1)2  +  n

Zum Beispiel ist

π(2, 0)  =  (2 + 0) (0 + 2 + 1)2 + 2  =  5

Das Paar (2, 0) ist das fünfte Element unserer Aufzählung.

Übung 2

Zeigen Sie, dass es unendliche Teilmengen A0, A1, …, An, …, n  ∈  , von  gibt mit den Eigenschaften:

(a)

 =  ⋃n  ∈   An  (=  { k | es gibt ein n  ∈   mit k  ∈  An }),

(b)

An  ∩  Am  =  ∅  für alle n, m  ∈   mit n ≠ m.

Erste Lösung (Verwendung von Paaren)

Sei π : 2   bijektiv (vgl. die obige Übung). Wir setzen für alle n  ∈  :

An  =  { π(n, m) | m  ∈   }  =  { π(n, 0),  π(n, 1),  π(n, 2),  …  }

Anschaulich ist An die Menge aller natürlichen Zahlen, die in der n-ten Spalte des gemäß π beschrifteten Gitters  ×  stehen.

Da π injektiv ist, ist jede Menge An unendlich. Ebenfalls aufgrund der Injektivität von π sind die Mengen An paarweise disjunkt. Da π surjektiv ist, gibt es für jedes k  ∈   ein Paar (n, m) mit π(n, m) = k, sodass k  ∈  An. Dies zeigt, dass jede natürliche Zahl in genau einer Menge An vorkommt. Damit sind die Mengen A0, A1, A2, … wie gewünscht.

Zweite Lösung (Verwendung von Primzahlen)

Für alle n ≥ 1 sei wieder z(n) der Zweifaktor von n, d. h. die maximale Anzahl der Zweiteilungen von n ohne Rest. Die Zahl z(n) ist der 2-Exponent der Primfaktorzerlegung von n, wobei z(n) = 0 gesetzt wird, wenn n ungerade ist. Weiter setzen wir z(0) = 0. Damit können wir nun definieren:

Ak  =  { n  ∈   | z(n) = k }

Es gilt zum Beispiel

A0  =  { 0 } ∪ { 1, 3, 5, 7, 9, … },

A1  =  { 2, 6, 10, 14, 18, … },

A2  =  { 4, 12, 20, 28, 36, … }.

Da jedes n ≥ 0 einen eindeutigen Wert z(n) besitzt, kommt jede natürliche Zahl in genau einer Menge Ak vor: Für alle n  ∈   gilt:

n  ∈  Akgenau dann, wenn  k = z(n).

Zudem ist jede Menge Ak unendlich , da zum Beispiel

2k 30,  2k 31,  2k 32,  …

Elemente von Ak sind.

Übung 3

Sei A eine Menge. Zeigen Sie, dass die folgenden Aussagen äquivalent sind:

(a)

Es gibt eine Injektion f : A  A, die nicht surjektiv ist.

(b)

Es gibt eine Injektion g :   A.

Lösung zur Übung 3

(a) impliziert (b):

Sei f : A  A injektiv, aber nicht surjektiv. Dann gibt es ein a  ∈  A mit a  ∉  rng(f). Wir definieren nun g :    rekursiv durch

g(0)  =  a,  g(n + 1)  =  f (g(n))  für alle n  ∈  

Dann ist g injektiv. Annahme nicht. Dann gibt es ein kleinstes n mit:

(+)  Es gibt ein m > n mit g(n) = g(m).

Sei m wie in (+), und sei m = m′ + 1. Es gilt n > 0, da sonst

a  =  g(0)  =  g(m))  =  g(m′ + 1)  =  f (g(m))  ∈  rng(f)

Also gibt es ein n′ mit n = n′ + 1. Dann gilt

f (g(n′))  =  g(n′ + 1)  =  g(n)  =  g(m)  =  g(m′ + 1)  =  f (g(m′))

Da f injektiv ist, gilt g(n′) = g(m′) mit m′ > n′, im Widerspruch zur Minimalität von n.

(b) impliziert (a):

Sei g :   A injektiv. Sei B = rng(g). Wir definieren h : B  B durch

h(g(n))  =  g(n + 1)  für alle n  ∈  

Dann ist h = g ∘ S ∘ g−1 (mit der Nachfolgerfunktion S auf ). Also ist h injektiv als Komposition von Injektionen. Wir definieren nun f : A  A durch

f (a)  =  h(a)  für a  ∈  B,  f (a) = a  für alle a  ∈  A − B

Dann ist f = h ∪ idA − B. Also ist f eine injektive Funktion als Vereinigung zweier Injektionen mit disjunkten Definitions- und Wertebereichen.

Übung 4

Wir betrachten die Menge

 =  { f :    }

aller reellen Funktionen mit Definitionsbereich . Zeigen Sie:

(a)

Es gibt eine Injektion F :   .

(b)

Es gibt keine Surjektion F :   .

Bemerkung

Damit gilt || < || < ||. Es gibt also, im Sinne der Mächtigkeitstheorie, mehr reelle Zahlen als natürliche Zahlen, und weiter mehr reelle Funktionen als reelle Zahlen.

Lösung zur Übung 4

zu (a):

Wir definieren F :    wie folgt. Für alle x  ∈   setzen wir

F(x)  =  constx  =  „die Funktion f :    mit f (y) = x für alle y  ∈  

Die Funktion F ordnet also jeder reellen Zahl x die konstante reelle Funktion mit dem konstanten Wert x zu.

Die Funktion F ist injektiv. Denn seien x, y  ∈   mit F(x) = F(y). Dann gilt

x  =  F(x)(0)  =  F(y)(0)  =  y

Dies zeigt, dass F injektiv ist.

zu (b):

Sei F :    beliebig. Wir konstruieren eine Funktion d :    mit d  ∉  rng(F). Zur Definition von d setzen wir

d(x)  =  F(x)(x) + 1  für alle x  ∈  

Ist nun x  ∈   beliebig, so gilt d ≠ F(x), da die Funktionen d und F(x) an der Stelle x nach Konstruktion verschieden sind. Dies zeigt, dass d  ∈   kein Element des Wertebereichs von F ist. Damit ist F nicht surjektiv.