3b. Der Mittelwertsatz (Lösungen)
Übung 1
Sei I ein Intervall, und sei f : I → ℝ eine differenzierbare nicht monotone Funktion. Zeigen Sie, dass f ′ eine Nullstelle besitzt. Gilt diese Aussage auch für beliebige Definitionsbereiche?
Lösung zur Übung 1
Da f nicht monoton ist, ist f weder monoton steigend noch monoton fallend. Da f nicht monoton steigt, gibt es x1 < x2 in I mit f (x1) > f (x2). Dann gilt:
f (x2) − f (x1)x2 − x1 < 0(Zähler negativ, Nenner positiv)
Da I ein Intervall ist, gilt ] x1, x2 [ ⊆ I. Nach dem Mittelwertsatz der Differentialrechnung gibt es ein p1 ∈ ] x1, x2 [ mit
f ′(p1) = f (x2) − f (x1)x2 − x1 < 0.
Da f nicht monoton fällt, gibt es x3 < x4 in I mit f (x3) < f (x4). Nun gilt:
f (x4) − f (x3)x4 − x3 > 0(Zähler positiv, Nenner positiv)
Der Mittelwertsatz liefert ein p2 ∈ ] x3, x4 [ ⊆ I mit
f ′(p2) = f (x4) − f (x3)x4 − x3 > 0.
Die Ableitung f ′ nimmt also einen negativen und einen positiven Wert an. Nach dem Nullstellensatz der Differentialrechnung gibt es ein p zwischen p1 und p2 mit f ′(p) = 0.
zur Voraussetzung an den Definitionsbereich
Die Aussage ist für beliebige Definitionsbereiche im Allgemeinen nicht richtig. Ein Gegenbeispiel ist die Funktion f : ℝ* → ℝ mit
f (x) = 1/x für alle x ≠ 0.
Die Funktion ist auf ] −∞, 0 [ und weiter auf ] 0, ∞ [ jeweils streng monoton fallend. Aber sie ist auf ℝ* nicht monoton fallend, da zum Beispiel f (−1) = −1 < 1 = f (1). Insgesamt ist f nicht monoton. Die Ableitung f ′ hat keine Nullstelle, da f ′(x) = − 1/x2 < 0 für alle x ≠ 0.
Für alle x, y ≠ 0 mit unterschiedlichem Vorzeichen ist der Differenzenquotient s(x, y) = (f (x) − f (y))/(x − y) positiv. Aber f besitzt keinen positiven Differentialquotienten.
Übung 2
Sei g : ℝ → ℝ eine Gerade mit der Steigung a. Weiter seien f : ℝ → ℝ differenzierbar und n ≥ 2 derart, dass f − g mindestens n Nullstellen besitzt. Zeigen Sie, dass es x1 < … < xn − 1 gibt mit f ′(xi) = a für i = 1, …, n − 1.
Lösung zur Übung 2
Da g eine Gerade der Steigung a ist, gibt es ein b ∈ ℝ mit
g(x) = a x + b für alle x ∈ ℝ.
Sei h = f − g. Nach Voraussetzung existieren t1 < t2 < t3 < … < tn mit
h(ti) = f (ti) − g(ti) = 0 für i = 1, …, n.
Da h differenzierbar auf [ t1, t2 ] ist und h(t1) = h(t2) gilt, gibt es nach dem Satz von Rolle einen kritischen Punkt x1 ∈ ] t1, t2 [ von h. Dann gilt
0 = h′(x1) = f ′(x1) − g′(x1) = f ′(x1) − a,
sodass f ′(x1) = a. Analog existiert für jedes i = 2, …, n − 1 ein xi ∈ ] ti, ti + 1 [ mit f ′(xi) = a. Nach Konstruktion gilt
t1 < x1 < t2 < x2 < t3 < … < tn − 1 < xn − 1 < tn.
Damit sind die Stellen x1, …, xn − 1 wie gewünscht.
Übung 3
Seien f, g : [ a, b ] → ℝ stetig und in ] a, b [ differenzierbar. Es gelte f (a) = g(a). Zeigen Sie:
(a) | Gilt f ′(x) ≥ g′(x) für alle x ∈ ] a, b [ , so gilt f (b) ≥ g(b). |
(b) | Gilt f ′(x) > g′(x) für alle x ∈ ] a, b [ , so gilt f (b) > g(b). |
Lösung zur Übung 3
zu (a):
Wir definieren h : [ a, b ] → ℝ durch
h(x) = f (x) − g(x) für alle x ∈ [ a, b ]
Dann ist h stetig und in ] a, b [ differenzierbar. Nach Voraussetzung gilt
h(a) = f (a) − g(a) = 0.
Nach dem Mittelwertsatz gibt es ein p ∈ ] a, b [ mit
h′(p) = h(b) − h(a)b − a = h(b)b − a
Nach Voraussetzung gilt f ′(p) ≥ g′(p), sodass
0 ≤ f ′(p) − g′(p) = h′(p) = h(b)b − a = f (b) − g(b)b − a
Da der Nenner b − a auf der rechten Seite positiv ist, ergibt sich
0 ≤ f (b) − g(b).
Dies zeigt, dass f (b) ≥ g(b).
zu (b):
Die Aussage wird analog bewiesen, wobei nun 0 < f ′(p) − g′(p) und damit 0 < f (b) − g(b).
Übung 4
Bestimmen Sie mit Hilfe der Regeln von l’Hospital:
(a) | limx → ∞ log(x)xa für a > 0, |
(b) | limx → π/2 (x − π/2) tan x, |
(c) | limx → 1 1 + cos(πx)(x − 1)2. |
Lösung zur Übung 4
zu (a): Sei a > 0. Die Funktionen log, pota : ] 0, ∞ [ → ℝ (mit pota(x) = xa für alle x > 0) sind differenzierbar mit
log′(x) = 1/x, pota′(x) = a xa − 1 > 0,
limx → ∞ pota(x) = ∞.
Damit sind die Voraussetzungen der zweiten Regel von l’Hospital erfüllt, sodass
limx → ∞ log(x)xa = limx → ∞ 1/xa xa − 1 = limx → ∞ 1a xa = 0.
Der Logarithmus wächst also langsamer als jede Potenz, insbesondere also langsamer als die n-ten Wurzelfunktionen.
zu (b): Die Funktionen f, g : ] 0, π/2 [ → ℝ mit
f (x) = (x − π/2) sin x, g(x) = cos x für alle x ∈ ] 0, π/2 [
sind differenzierbar mit
f ′(x) = sin x + (x − π/2) cos x,
g′(x) = − sin x ≠ 0,
limx → π/2 f (x) = limx → π/2 (x − π/2) sin x = 0 · 1 = 0,
limx → π/2 g(x) = limx → π/2 cos x = 0.
Die erste Regel von l’Hospital ist anwendbar. Wir erhalten
limx → π/2 (x − π/2) tan x = limx → π/2 (x − π/2) sin xcos x
= limx → π/2 sin x + (x − π/2) cos x− sin x = 1 + 0−1 = −1.
zu (c): Die Funktionen f, g : ] 0, 1 [ → ℝ mit
f (x) = 1 + cos(π x), g(x) = (x − 1)2 für alle x ∈ ] 0, 1 [
sind zweimal differenzierbar mit
f ′(x) = − π sin(π x),
g′(x) = 2 (x − 1) ≠ 0,
f ″(x) = − π2 cos(π x),
g″(x) = 2 ≠ 0,
limx → 1 f (x) = 1 + limx → 1 cos(π x) = 1 + cos(π) = 1 − 1 = 0,
limx → 1 g(x) = limx → 1 (x − 1)2 = 02 = 0,
limx → 1 f ′(x) = − π limx → 1 sin(π x) = (−1) · sin(π) = (−1) · 0 = 0,
limx → 1 g′(x) = 2 limx → 1 (x − 1) = 2 · (1 − 1) = 0.
Zweimalige Anwendung der ersten Regel von l’Hospital liefert
limx → 1 1 + cos(πx)(x − 1)2 = limx → 1 − π sin(π x)2 (x − 1)
= limx → 1 − π2 cos(π x)2 = − π22 limx → 1 cos(π x)
= − π22 · (−1) = π22.